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Unsere Claudia

Unsere Claudia

Titel: Unsere Claudia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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Rolltreppe nach oben – und kurz darauf stand Claudia auf einem der Aussichtspunkte, sich gegen die niedrige Mauer lehnend. Vor ihr lag die Stadt Stockholm – Stockholm in der Frühlingssonne, Stockholm mit blitzenden Gewässern und Brücken und modernen Hochbauten, mit Parks und freien Plätzen – und mit den kleinen engen Straßen, die die Vergangenheit noch krampfhaft festhalten.
     
     

     
     
    Es funkelte im Kirchturm und blinkte auf den weißgestrichenen Schiffen im Hafen.
    So wunderschön hatte Claudia die Stadt Stockholm noch nicht gesehen.
    „Wart nur, bis wir etwas mehr Frühling haben“, sagte Onkel Bo. „Wenn der erste feine grüne Schleier über den Parks liegt, dann – ja dann!“
    Claudia lächelte. Wenn der grüne Schleier über den Parks liegt – ja, ob sie aber um die Zeit noch in Stockholm sein wird?
    Ihre Gedanken wanderten immer häufiger in die Heimat.
    Es tat nicht mehr so weh, wenn sie daran dachte, daß sie nie wieder in die Nummer achtzehn zurückkehren würde. Während die Wochen vergingen, wuchs ihre Spannung auf das neue Zuhause immer mehr.
    Und sie sehnte sich nach ihrer Mutti, vielleicht auch ein kleines bißchen nach Onkel Peter. Aber schrecklich nach Mutti. „Was sinnst du vor dich hin, Claudia?“
    „Nichts – ach gar nichts – “
    „Komm, wir gehen zu den Eisbären!“ rief Karin in entschiedenem Ton.
    „Du mit deinen Tieren“, lachte Onkel Bo. „Ich finde, wir sollten Claudia jetzt erst einmal die kulturhistorischen Sammlungen zeigen! Nicht die Nase rümpfen, Karin, sie sind hochinteressant – und dann verschnaufen wir ein bißchen und trinken Schokolade, und dann mögt ihr zu den Tieren gehen, so lange ihr wollt.“
    „Meinetwegen“, sagte Karin.
    Claudia machte große Augen. Wie groß doch dieser Park war! Und so ulkig, daß er auf einer Anhöhe lag, man ging hügelan und hügelab, ganz anders als in den Parks, in denen sie bisher gewesen war.
    Auf einem großen offenen Platz lag eine ganze Reihe kleiner Verkaufsbuden, mit Karten und Freimarken und allen möglichen Andenken.
    Und dann kamen sie zu einer alten Stabkirche, und vor dieser – „Komm mal her, Claudia“, lachte der Onkel, und Claudia ging nichtsahnerid zu ihm. Bevor sie aber begriffen hatte, was er wollte, stand sie an einen Pfahl gelehnt und mit einem eisernen Ring um den Hals.
    „Jetzt stehst du am Schandpfahl, Claudia“, lachte Onkel Bo. Und während Claudia, ebenfalls lachend, sich bemühte, den Eisenring loszumachen, war Onkel Bo wie ein Blitz zur Hand und machte eine Aufnahme von ihr.
    Endlich war Claudia wieder frei und stand da und betrachtete den Schandpfahl.
    „Ist es möglich, daß er ganz im Ernst benutzt worden ist?“ fragte sie erschauernd. „Und daß die Leute ihn obendrein noch vor der Kirche aufgestellt haben! Erst gingen sie in die Kirche und hörten von Frieden und Erbarmen und Vergebung predigen, und dann kamen sie ‘raus und lachten den Ärmsten aus, der hier angekettet stand.“
    „Und bespien ihn vielleicht obendrein noch“, sagte Onkel Bo. „Nein, du hast recht, es ist unbegreiflich.“
    „Und das nennst du Kulturgeschichte“, sagte Claudia. „Ich nenne es Unkultur!“
    „Du magst recht haben“, sagte Tante Helga. „Aber jetzt wollen wir uns die Kultur ansehen!“
    Sie waren in alten schwedischen Bauernhäusern, sie sahen primitive, mittelalterliche Stuben und Küchen, sie sahen die kurzen, breiten Alkovenbetten, in denen man unmöglich liegen konnte, sondern sitzend schlafen mußte – Betten, die mit schweren, hausgewebten Vorhängen so dicht zugehängt waren, daß Claudia meinte, es müsse ganz unmöglich gewesen sein, dahinter Luft zu bekommen.
    „Luft?“ sagte Onkel Bo. „Danach hatten sie auch damals sicher kein Verlangen. Mit den Vorhängen mochte es vielleicht noch hingehen, aber stell dir vor, sie konnten nicht einmal die Fenster aufmachen – und dabei der Rauch von der offenen Feuerstelle!“
    Claudia sah sich um, ihre Augen wanderten von einem Gebrauchsgegenstand zum andern. Die Kochgeräte, das Mangelholz an der Wand, die schwere Feuerzange, der Rocken und der Webstuhl… und dann schweiften ihre Gedanken zu Tante Helgas moderne Küche ab, mit elektrischem Herd und elektrischem Kühlschrank, mit Küchenmotor und eingebautem Bügelbrett; sie dachte an die elektrische Waschküche, die zum Hause gehörte… ja, man stelle sich vor, ein Mensch von Anno dazumal, eine Frau, die in diesem Bauernhaus gelebt hatte, kehrte plötzlich auf die Erde

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