Unsichtbar
einen Mal bleiben sollte, wolltet ihr beide nicht, dass es so bald aufhörte. Also machtet ihr weiter. Mit der Kraft und Kondition deiner vierzehn Jahre erholtest du dich schnell von deiner unbeabsichtigten Entladung, und als deine Schwester ihre Hand um deinen wieder verjüngten Penis legte (höchste Verzückung, unaussprechliche Seligkeit), setztest du deine Anatomiestunde fort und strichst mit Händen und Lippen über noch unerforschte Gebiete ihres Körpers. Du entdecktest die köstlichen, daunenweichen Regionen im Nacken und an den Schenkelinnenseiten, die unauslöschlichen Beglückungen der Lenden und Pobacken, die fast unerträgliche Lust des geleckten Ohrs. Wonnen des Tastsinns, und dazu der Geruch von Gwyns Parfüm, eure vom Schweiß immer glitschigeren Körper und die kleine Symphonie von Geräuschen, die ihr beide die ganze Nacht hindurch machtet, einzeln und gemeinsam: das Stöhnen und Winseln, das Seufzen und Aufschreien, und dann, als Gwyn zum ersten Mal kam (sie rieb sich mit dem Mittelfinger der Linken die Klitoris), das Geräusch der durch ihre Nasenlöcher ein- und ausströmenden Luft, die zunehmende Frequenz dieser Atemzüge, das triumphierende Ächzen am Ende. Das erste Mal, gefolgt von zwei weiteren Malen, vielleicht gar einem dritten. Was dich betraf, so ergriff sie nach jenem verfrühten Solo deinen Penis und bewegte ihre Hand daran auf und ab, während du in einem Nebel steigender Erregung auf dem Rücken lagst, und dann nahm sie ihn in den Mund und bewegte auch diesen auf und ab, ihren Mund um deinen längst wieder harten Penis, und die innige Intimität, die ihr beide empfandet, als du in diesen Mund hinein kamst - Flüssigkeit eines Körpers, die in einen anderen überging, das Vermischen einer Person mit einer anderen, Vereinigung der Seelen. Dann sank deine Schwester aufs Bett zurück, spreizte ihre Beine und bat dich, sie zu berühren. Nicht da, sagte sie, hier, und nahm deine Hand und führte dich an die Stelle, wo sie dich haben wollte, die Stelle, wo du noch nie gewesen warst, und du, der du vor dieser Nacht von nichts eine Ahnung hattest, tratest jetzt deine Ausbildung zum Menschen an.
Sechs Jahre später in der 107th Street sitzt du in der Küche der Wohnung, die du mit deiner Schwester teilst. Es ist Anfang Juli 1967, und du hast ihr gerade erzählt, dass du übers Wochenende lieber in New York bleiben würdest, dass du keine Lust hast, die beschwerliche Busfahrt zum Haus deiner Eltern zu machen. Gwyn sitzt dir in blauen Shorts und einem weißen T-Shirt am Tisch gegenüber, die langen dunklen Haare wegen der Hitze hochgesteckt, und dir fällt auf, dass ihre Arme braungebrannt sind, dass sie trotz ihres Bürojobs, der sie den größten Teil des Tages nicht ins Freie kommen lässt, oft genug in der Sonne gewesen ist, um diese entzückende rötlich braune Farbe anzunehmen, die dich irgendwie an die Farbe von Pfannkuchen erinnert. Es ist Donnerstag, halb sieben, und ihr seid beide von der Arbeit zurück, trinkt Bier aus der Dose und raucht filterlose Chesterfields. In etwa einer Stunde werdet ihr zum Abendessen ein preiswertes Chinarestaurant aufsuchen - eher eigentlich, um euch in der klimatisierten Luft dort etwas abzukühlen -, aber fürs Erste bist du zufrieden damit, nur herumzusitzen und nichts zu tun, dich nach dem langweiligen Tag in der Bibliothek, die du neuerdings nur noch das Schloss des Gähnens nennst, wieder etwas zu sammeln. Nachdem du gesagt hast, dass du nicht nach New Jersey fahren willst, zweifelst du nicht daran, dass Gwyn gleich anfangen wird, von euren Eltern zu reden. Du bist darauf vorbereitet, und wenn du musst, wirst auch du etwas sagen, hoffst aber, das Gespräch wird nicht allzu lang. Das neunmillionste Kapitel in der Saga von Marge und Bud. Wann habt ihr angefangen, eure Eltern beim Vornamen zu nennen? Du kannst dich nicht genau erinnern, aber es muss um die Zeit herum gewesen sein, als Gwyn von zu Hause auszog, um aufs College zu gehen. Sie sind immer noch Mum und Dad, wenn du bei ihnen bist, aber unter euch beiden sind sie Marge und Bud. Ein wenig affektiert, mag sein, aber es hilft, eine Illusion von Distanz zu schaffen, und das brauchst du, sagst du dir, das brauchst du mehr als alles andere.
Ich verstehe das nicht, sagt deine Schwester. Du willst da gar nicht mehr hin.
Ich würde ja gern, antwortest du und hebst abwehrend die Schultern, aber jedes Mal, wenn ich in dieses Haus komme, habe ich das Gefühl, es saugt mich in die Vergangenheit
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