Unsichtbar
findet Walker, hat fast schon etwas von einem Pferd), aber wie viele gutbürgerliche Französinnen in einem gewissen Alter strahlt sie enorm viel Sicherheit und Selbstbewusstsein aus - eine Frage des Stils, vielleicht, oder aber Ausfluss geheimnisvollen gallischen Wissens in Sachen Weiblichkeit. Die Tochter, soeben achtzehn geworden, studiert am Lycee Fenelon in der rue de L'Eperon, keine fünf Minuten zu Fuß vom Hotel du Sud entfernt. Sie ist ein kleines, nicht so beeindruckendes Geschöpf wie ihre Mutter, mit kurzen braunen Haaren, dünnen Handgelenken, schmalen Schultern und wachsamen, flinken Augen. Walker fällt auf, dass diese Augen häufig blinzeln, und ihm scheint (genauer: es stellt sich heraus), dass Cecile normalerweise eine Brille trägt und sich entschieden hat, für die Dauer dieses Abends ohne sie auszukommen. Nein, kein hübsches Mädchen, ziemlich unscheinbar, und doch interessant anzuschauen: das winzige Kinn, die lange Nase, die runden Wangen, der ausdrucksvolle Mund. Ab und zu biegt dieser Mund sich wie in heimlicher Belustigung nach unten, was nicht direkt wie ein Lächeln wirkt, aber doch auf einen fein entwickelten Sinn für Humor schließen lässt, auf einen Menschen, der die komischen Aspekte jeder beliebigen Situation wahrzunehmen weiß. Keine Frage, sie ist außerordentlich intelligent (seit vier Minuten schwadroniert Born von ihren hervorragenden Noten in Literatur und Philosophie, von ihrer Leidenschaft für das Klavier, ihrer meisterhaften Beherrschung des Altgriechischen), doch wenn auch manches für Cecile spricht, muss Walker betrübt zur Kenntnis nehmen, dass er sich nicht zu ihr hingezogen fühlt, zumindest nicht so, wie er gehofft hatte. Sie ist nicht sein Typ, sagt er sich, jenen vagen, abgedroschenen Ausdruck benutzend, der für die unendlichen Komplexitäten des körperlichen Verlangens herhalten muss. Aber was ist sein Typ?, überlegt er. Seine Schwester? Die sexgierige Margot, die zehn Jahre älter ist als er? Was auch immer er will, es ist nicht Cecile Juin. Er sieht sie an, und er sieht ein Kind, etwas Unfertiges, eine noch nicht ganz ausgereifte Person, und an diesem Punkt ihres Lebens ist sie so in sich gekehrt und so befangen, dass sie keine erotischen Signale auszusenden vermag, die einen Mann veranlassen könnten, ihr nachzulaufen. Was nicht heißen soll, dass er nicht sein Bestes tun wird, mit ihr Freundschaft zu schließen, aber Küsse und Zärtlichkeiten wird es nicht geben, keine romantischen Verwicklungen, keinen Versuch, sie ins Bett zu locken.
Er verachtet sich dafür, dass er so etwas denkt, dass er die unschuldige Cecile lediglich als Sexobjekt betrachtet, als potenzielles Opfer seiner Verführungskünste (vorausgesetzt, er besitzt überhaupt welche), gleichzeitig aber weiß er, dass er Krieg führt, einen Guerillakrieg im Untergrund, und dieses Essen ist die erste Schlacht in diesem Krieg, und wenn er die Schlacht gewinnen könnte, indem er die künftige Stieftochter seines Widersachers verführte, würde er nicht zögern, es zu tun. Aber die junge Cecile ist keine Verführungskandidatin, und daher muss er sich auf eine subtilere Taktik verlegen, um seine Sache voranzubringen, muss vom Sturmlauf auf die Tochter zu einem Doppelangriff auf Mutter und Tochter umschalten - muss versuchen, sich bei ihnen einzuschmeicheln und sie am Ende auf seine Seite zu locken. Das alles hat unter den wachsamen Blicken Borns zu geschehen, in der unerträglichen, erstickenden Gegenwart eines Mannes, den auch nur anzusehen er kaum über sich bringt. Zweifellos beobachtet der gerissene, misstrauische Born den janusköpfigen Walker mit äußerstem Argwohn, und wer weiß, vielleicht hat er die geheuchelte Entschuldigung des Letzteren nur heuchlerisch akzeptiert, um herauszufinden, was der Junge im Schilde führt? Hinter Borns freundlichem Geplauder und seiner falschen Jovialität lauert etwas Gereiztes, ein gespannter, angestrengter Ton, der darauf hinzudeuten scheint, dass er auf der Hut ist. Es wäre nicht klug, sich noch einmal mit ihm zu treffen, denkt Walker, und daher ist es umso zwingender erforderlich, dass er noch an diesem Abend, noch vor dem Ende der Mahlzeit, seinen Separatfrieden mit den Juins schließt.
Die Frauen sitzen nebeneinander an einer Seite des Tischs. Walker hat Cecile vor sich, Born, links von ihm, sitzt Helene gegenüber. Walker hat Helene gut im Blick und findet, als sie ihren Verlobten anschaut, Margots Beobachtung bestätigt, dass ihre Augen keine
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