Unsichtbar
Gebäude kommt. Als sie inmitten einer Schar Mitschüler endlich erscheint, sieht sie ihm in die Augen und dreht sich dann von ihm weg. Sie geht in Richtung rue Saint-Andre des Arts. W. läuft los, um sie einzuholen. Er packt sie am Ellbogen, aber sie schüttelt ihn ab. Wieder packt er sie, zwingt sie, stehenzubleiben.
Ist was?, fragt er sie. Willst du nicht mit mir reden?
Wie konntest du nur?, schreit sie ihn laut und heftig an. Meiner Mutter solche Ungeheuerlichkeiten zu erzählen. Du bist krank, Adam. Du bist kein guter Mensch. Man sollte dir die Zunge aus dem Mund reißen.
Er versucht, sie zu beruhigen, möchte, dass sie ihm zuhört.
Ich will dich nie mehr wiedersehen.
Er unternimmt eine letzte Anstrengung, vernünftig mit ihr zu reden.
Sie beginnt zu weinen. Dann spuckt sie ihm ins Gesicht und geht davon.
Montagnacht. Die üppige, Kaugummi kauende Hure in der rue Saint-Denis. Es ist sein erstes Mal bei einer Prostituierten. Das Zimmer riecht nach Insektengift, Schweiß und Spuren von Erbrochenem.
Dienstag. Den ganzen Tag lang streift er durch Paris. Im Jardin du Luxembourg sieht er einen Priester mit einer Gruppe Schuljungen Cricket spielen. In der rue Monge gibt er einem Clochard zehn Franc. Der Spätseptemberhimmel färbt sich dunkel, von metallisch Blau zum tiefsten Indigo. Er ist mit seinem Latein am Ende.
Dienstagnacht. Um drei Uhr ein lautes Geräusch vor seinem Zimmer. Er schläft tief und fest, erschöpft von dem Marathonmarsch durch die Stadt. Jemand klopft. Nein, nicht jemand, es sind mehrere. Eine Armee von Fäusten hämmert an die Tür.
Zwei Polizisten in Uniform, junge französische Gendarmen mit Pistolen im Holster und Schlagstöcken in der Hand. Ein älterer Mann im Straßenanzug. Maurice, der betrunken an der Tür lauert. Sie fragen, ob sein Name Adam Walker sei - Walk-ähr. Sie verlangen seine Papiere, also seinen amerikanischen Pass, und als er ihn einem der Gendarmen reicht, wird er ihm nicht zurückgegeben. Dann befiehlt der Ältere dem anderen Gendarm, den Schrank zu durchsuchen. Die untere Schublade wird aufgezogen, und zum Vorschein kommt ein großer, in Alufolie gewickelter Klotz. Der Jüngere gibt ihn dem Älteren, der ihn aus der Folie wickelt. Haschisch, sagt er. Mindestens zweieinhalb Kilo, vielleicht drei.
Die exquisite Ironie von Borns Rache. Dem Jungen, der niemals Drogen nahm, wird Drogenbesitz zur Last gelegt.
Sie führen ihn ab. Auf dem Rücksitz des Streifenwagens erklärt W. dem Älteren, er sei unschuldig, jemand habe die Drogen in seinem Zimmer deponiert, als er draußen gewesen sei. Der Mann sagt, er solle den Mund halten.
Sie bringen ihn in ein Gebäude, stecken ihn in ein Zimmer und schließen die Tür. Er weiß bloß, er sitzt in einem kleinen kahlen Raum irgendwo in Paris und ist mit Handschellen gefesselt. Hat man ihn verhaftet? Er ist sich nicht sicher. Niemand hat ein Wort zu ihm gesagt, aber er findet es merkwürdig, dass man ihn nicht fotografiert, nicht seine Fingerabdrücke genommen hat, dass er in diesem kleinen kahlen Raum und nicht in einer Gefängniszelle sitzt.
Er sitzt dort fast sieben Stunden lang. Um halb elf wird er aus dem Gebäude gebracht und zum Palais de Justice gefahren. Man nimmt ihm die Handschellen ab. Er geht in ein Büro und spricht mit einem Mann, der behauptet, er sei der juge d'instruction. Es kann sein, dass er die Wahrheit sagt, aber W. glaubt ihm nicht. Er ist zunehmend davon überzeugt, dass die ganze Aktion eine von Rudolf Born inszenierte Farce ist und dass alle Fraun und Männer bloße Spieler sind.
Der Untersuchungsrichter, angenommen, dass er der Untersuchungsrichter ist, erklärt W., er könne sich glücklich schätzen. Der Besitz einer so erheblichen Menge illegaler Drogen sei in Frankreich ein schweres Verbrechen, das mit mehreren Jahren Gefängnis bestraft werde. Zum Glück für W. habe sich ein Mann, der über beträchtlichen Einfluss in Regierungskreisen verfüge, zu seinen Gunsten ins Mittel gelegt und in Anbetracht des bis dato einwandfreien Führungszeugnisses des Beschuldigten um Gnade gebeten. Der Justizminister sei daher bereit, mit W. einen Handel abzuschließen. Man werde die Anklage fallenlassen, wenn er seiner Abschiebung zustimme. Er werde niemals mehr nach Frankreich einreisen dürfen, in seiner Heimat aber könne er sich als freier Mann betrachten.
Der juge d'instruction zieht die oberste Schublade seines Schreibtischs auf und entnimmt ihr W.s Pass (den er in der rechten Hand hält) und ein
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