Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unsichtbar

Unsichtbar

Titel: Unsichtbar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
Vom Netzwerk:
Joghurt. Über C. gibt es nicht mehr viel zu sagen. Bevor es zu spät ist, muss er H. in eine neue Richtung drängen, sie dazu bringen, von ihrem Mann zu reden und von Born. Muss Gewissheit erhalten, dass die Tatsachen stimmen, bevor er sich weiter vorwagt. Born hatte ihm voriges Frühjahr von der Hochzeit erzählt, M. hatte das indirekt mit zusätzlichen Informationen über die Scheidung bestätigt. C. hatte dem nicht widersprochen, nur H. hat das Thema ihm gegenüber noch nie angeschnitten. Wie soll er vorgehen? Er beginnt mit der Erwähnung Rudolfs, schildert ihre Begegnung im April in New York, gibt durch nichts zu verstehen, dass sie etwas anderes als gute Freunde sind, berichtet dann von Borns Rückkehr nach Paris im Mai und wie aufgeregt er war, als er verkündete, dass er Sie heiraten werde. Stimmt das? H. nickt. Ja, das stimmt. Dann sagt sie, das sei die furchtbarste Entscheidung, die sie jemals getroffen habe. Alle Dämme brechen, und sie erzählt von ihrem Mann, erzählt von dem Autounfall in den Pyrenäen, von der Haarnadelkurve und dem Sturz in die Schlucht, vom Krankenhaus, von der Qual der vergangenen sechseinhalb Jahre, von den Verheerungen, die das alles bei C. angerichtet hat - eine Flut von Worten, und dann eine Flut von Tränen. W. bringt es kaum übers Herz weiterzumachen. Die Tränen versiegen. Sie ist verlegen, entschuldigt sich. Wie seltsam, dass sie ihm das anvertraut, sagt sie, einem jungen Mann aus New York, den sie nur flüchtig kennt. Aber Rudolf hält sehr viel von Ihnen, und Sie waren so freundlich zu C. - vielleicht ist das die Erklärung.
    Er ist bereit, die ganze Sache abzublasen. Halt den Mund, sagt er sich, lass die arme Frau in Ruhe. Aber er kann nicht. Sein Zorn ist einfach zu groß, und so springt er in den Abgrund und erzählt von Cedric Williams und dem Riverside Drive - bereut es, hasst sich selbst bei jedem Wort, das er ausspricht, kann aber nicht aufhören. H. hört ihm in fassungslosem Schweigen zu. Seine Worte sind ein scharfes Beil, und er hackt ihr den Kopf ab, er tötet sie.
    Kein Zweifel, dass sie ihm glaubt. Daran, wie sie ihn ansieht, erkennt er, dass sie weiß, er sagt die Wahrheit. Aber das macht keinen Unterschied. Er zerstört ihr Leben, und sie kann gar nicht anders, sie muss sich verteidigen. Wie können Sie es wagen, solch abscheuliche Beschuldigungen vorzubringen - ohne Beweis, ohne irgendwelche nachprüfbaren Gründe für Ihre Behauptungen?
    Ich war dabei, sagt er. Der Beweis ist in meinen Augen, in dem, was ich gesehen habe.
    Aber das will sie nicht akzeptieren. Rudolf ist ein angesehener Professor, ein Intellektueller, ein Mann aus bester Familie usw. Er ist ihr Freund, er hat sie aus jahrelangem Elend gerettet, er ist wie kein anderer Mann auf der Welt.
    Gesicht verhärtet. Keine Tränen mehr, kein Selbstmitleid mehr. Wütend in ihrer Selbstgerechtigkeit.
    W. erhebt sich zum Gehen. Er hat ihr nichts mehr zu sagen. Nur noch dies, und das wirft er ihr hin, kurz bevor er die Wohnung verlässt: Ich hielt es für meine Pflicht, Ihnen das mitzuteilen. Denken Sie in Ruhe darüber nach, und Sie werden einsehen, dass ich keinerlei Grund habe, Ihnen etwas vorzulügen. Ich möchte, dass Sie und Cecile glücklich sind - das ist alles -, und ich denke, dass Sie drauf und dran sind, einen schrecklichen Fehler zu begehen. Wenn Sie mir nicht glauben, tun Sie sich den Gefallen und fragen Rudolf, warum er immer mit einem Springmesser in der Tasche herumläuft.

    Sonntagmorgen. Es klopft an die Tür. Maurice: verschlafen, unrasiert, noch verkatert von der Sauferei des Vorabends. Ein Anruf für Sie, jeune homme.
    W. geht die Treppe hinunter zum Empfang und nimmt den Hörer auf. Borns Stimme sagt zu ihm: Wie ich höre, haben Sie schlimme Dinge über mich verbreitet, Walker. Ich dachte, wir hätten eine Abmachung, und jetzt drehen Sie sich um und fallen mir in den Rücken. Typisch Jude. Typisch für einen stinkenden Juden wie Sie, mit Ihrem erschwindelten angelsächsischen Namen und Ihrem dreckigen kleinen Maul. Für solche Fälle gibt es Gesetze. Verleumdung, Rufmord, üble Nachrede. Gehen Sie lieber nach Hause. Packen Sie Ihre Sachen und verschwinden Sie aus Paris. Schluss mit dem Auslandsjahr, hauen Sie ab. Wenn Sie bleiben, werden Sie es bereuen, Walker, das garantiere ich Ihnen. Ich grille Ihnen dermaßen den Arsch, dass Sie bis ans Ende Ihres Lebens nicht mehr sitzen können.

    Montagnachmittag. Er baut sich vor dem Lycee Fenelon auf und wartet, dass Cecile aus dem

Weitere Kostenlose Bücher