Unsichtbar
nicht dazu benutzen, diese Dinge ihrer Mutter zukommen zu lassen, sondern wird direkt zu Helene gehen, das ist die einzig richtige Lösung, die einzig anständige Lösung, und selbst wenn er sie nicht für sich gewinnen kann, darf er und wird er Cecile nicht in diese hässliche Angelegenheit hineinziehen.
Alles in Ordnung, Adam?
Endlich ist der Bann gebrochen. Walker blickt auf, nickt, lächelt ihr kleinlaut zu. Entschuldige, sagt er. Ich habe über etwas nachgedacht.
Was Wichtiges?
Nein, gar nicht. Ich musste an einen Traum denken, den ich letzte Nacht hatte. Du weißt ja, wie das ist, wenn man aufwacht. Der Körper kommt in Gang, aber der Geist ist noch im Bett.
Du bist nicht böse, weil ich gekommen bin?
Nicht im Geringsten. Ich bin froh, dass du gekommen bist.
Du hast mich doch ein bisschen gern? Was ist das für eine Frage? Findest du mich hässlich oder abstoßend?
Mach dich nicht lächerlich.
Ich weiß, ich bin nicht hübsch, aber ich bin auch nicht abscheulich anzusehen, oder?
Du hast ein reizendes Gesicht, Cecile. Ein zierliches Gesicht mit schönen, klugen Augen.
Warum versuchst du dann nie, mich zu streicheln, mich zu küssen?
Was?
Du hast richtig gehört.
Warum?
Ich weiß nicht. Weil ich dich nicht ausnutzen will, nehme ich an.
Du denkst, ich bin noch Jungfrau?
Ehrlich gesagt, habe ich mir diese Frage noch nie gestellt.
Nun, ich bin keine mehr. Nur damit du's weißt. Ich bin keine Jungfrau mehr und werde nie mehr eine sein.
Gratuliere.
Es ist letzten Monat in der Bretagne passiert. Der Junge hieß Jean-Marc, und wir haben es dreimal gemacht. Jean-Marc ist ein netter Mensch, aber ich liebe ihn nicht. Verstehst du, was ich sage?
Ich glaube schon.
Und?
Lass mir bitte Zeit. Was soll das heißen?
Das heißt, dass ich eine Frau in New York liebe. Sie hat mit mir Schluss gemacht, kurz bevor ich nach Paris abgereist bin, und ich leide immer noch, versuche immer noch, mein Gleichgewicht wiederzufinden. Ich bin noch nicht bereit für etwas Neues.
Ich verstehe.
Gut. Das macht alles viel einfacher. Nicht einfacher - komplizierter. Aber letztlich ändert es nichts. Ach?
Wenn du mich erst mal besser kennst, wirst du sehen, dass ich eine ganz besondere Eigenschaft besitze, etwas, das mich von allen anderen unterscheidet.
Und welche Eigenschaft ist das?
Geduld, Adam. Ich bin der geduldigste Mensch der Welt.
Am Samstag soll es sein, beschließt er. Da muss Helene nicht arbeiten, Cecile hat den ganzen Vormittag Unterricht, und daher ist Samstag der einzige Tag in der Woche, an dem er zu den Juins gehen und sicher sein kann, dass er mit Helene allein sein wird. Und er will jetzt handeln, mit ihr reden, solange Born noch in London ist, denn nur so kann er das Risiko ausschließen, dass Born plötzlich in ihr Gespräch hineinplatzt. Er ruft Helene in der Klinik an. Er sagt, er habe etwas Wichtiges mit ihr zu besprechen, es gehe um Cecile. Nein, nichts Schlimmes, ganz im Gegenteil, aber er müsse mit ihr reden, und es wäre am besten für alle Beteiligten, wenn sie sich zu einer Zeit treffen könnten, wo Cecile nicht anwesend sei. Helene selbst macht den Vorschlag, er solle sie am Samstagvormittag in ihrer Wohnung besuchen. Dann sei Cecile im Lycee, und wenn sie gegen neun Uhr anfingen, könnten sie mit der Unterredung fertig sein, bevor Cecile nach Hause komme. Was habe er lieber, fragt sie, Kaffee oder Tee? Croissants, Brioches oder Butterbrot? Kaffee und Butterbrot, sagt er. Joghurt? Ja, Joghurt sei ihm sehr recht. Also abgemacht. Er kommt am Samstagmorgen zum Frühstück. Helenes Stimme am Telefon ist so freundlich und entgegenkommend, so voller ausgelassener Komplizenschaft, dass Walker, nachdem er aufgelegt hat, nichts anderes übrigbleibt, als seine Meinung von ihr zu revidieren. Sie mag Fremden gegenüber ungeschickt sein, aber wenn sie jemanden erst einmal ein wenig kennengelernt hat, gibt sie ihre Zurückhaltung auf und beginnt ihr wahres Gesicht zu zeigen. Und dieses Gesicht wird ihm immer sympathischer. Helene mag ihn offensichtlich, und Tatsache ist, er mag sie auch. Umso mehr Ansporn für ihn, Born so schnell wie möglich zu vertreiben. Falls es sich machen lässt. Falls er sie dazu bringen kann, ihm zu glauben.
Rue de Verneuil, Samstagmorgen. In der ersten halben Stunde konzentriert sich Walker auf Cecile; er tut, was er kann, Helene über die Gefühle ihrer Tochter für ihn zu beruhigen und ihr klarzumachen, dass die Situation nicht so schrecklich ist, wie sie glaubt. Er erzählt
Weitere Kostenlose Bücher