Unsichtbar
zurückgebracht, die ich nicht erwartet hatte, auf eine Weise, die mich vollkommen überraschte, und sollte es uns gelingen, etwas Publizierbares daraus zu machen, würde ich dem Projekt meinen Segen geben.
Ich bin ein wenig ratlos. Wie willst du ein unpublizierbares Buch publizierbar machen?
Das wäre deine Aufgabe. Wenn du nicht dabei helfen willst, lassen wir das Thema jetzt fallen und reden nie mehr ein Wort davon. Wenn du aber willst, schlage ich Folgendes vor. Du nimmst die Notizen für den dritten Teil und bringst sie in lesbare Form. Das dürfte dir nicht schwerfallen. Ich selbst könnte das nicht, aber du bist Schriftsteller, du wirst wissen, was zu tun ist. Dann, das ist das Wichtigste, gehst du das ganze Manuskript durch und änderst alle Namen. Erinnerst du dich an diese alte Fernsehsendung aus den Fünfzigern? Die Namen wurden geändert, um Unschuldige zu schützen. Du änderst die Namen aller Personen und Orte, du kannst nach Belieben Motive hinzufügen oder streichen, und dann veröffentlichst du das Buch unter deinem eigenen Namen.
Aber dann wäre es nicht mehr Adams Buch. Irgendwie käme mir das unredlich vor. Wie Diebstahl ... wie ein bizarres Plagiat.
Nicht, wenn du es richtig anpackst. Wenn du die Passagen, die von Adam stammen, ihm zuschreibst - dem richtigen Adam unter dem falschen Namen, den du für ihn erfindest -, dann stiehlst du ihm nichts, dann ehrst du ihn.
Aber dann wird niemand wissen, dass es Adam ist.
Spielt das eine Rolle? Wir beide werden es wissen, und was mich betrifft, zählt außer uns niemand.
Du vergisst meine Frau.
Vertraust du ihr nicht?
Natürlich vertraue ich ihr.
Dann werden eben wir drei Bescheid wissen.
Ich bin mir nicht sicher, Gwyn. Lass mir ein wenig Zeit, ja?
Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst. Es hat keine Eile.
Ihre Geschichte klang überzeugend, mehr als plausibel, fand ich, und ihr zuliebe wollte ich sie glauben. Aber ich konnte nicht, zumindest nicht hundertprozentig, zumindest nicht ohne den starken Verdacht, dass das Kapitel Sommer eine wirklich gemachte Erfahrung schilderte und nicht den lüsternen Wunschtraum eines Sterbenden. Um meine Neugier zu befriedigen, legte ich bei dem Roman, den ich gerade schrieb, einen Tag Pause ein, und ging zur Columbia, wo mir ein Angestellter der School of International Affairs die Auskunft erteilte, dass Rudolf Born im akademischen Jahr 1966-67 dort eine Gastprofessur hatte; dann recherchierte ich im Mikrofilm-Saal der Butler Library, Walkers Arbeitsplatz in jenem Sommer - sein Schloss des Gähnens -, und fand Zeitungsartikel, die tatsächlich bestätigten, dass der achtzehnjährige Cedric Williams eines Morgens im Mai mit mehr als einem Dutzend Messerstichen in Brust und Oberkörper im Riverside Park aufgefunden worden war. Diese von Gwyn so genannten anderen Dinge hatte Walker in seinem Manuskript präzise geschildert, und wenn diese anderen Dinge den Tatsachen entsprachen, warum sollte er sich dann die Mühe gemacht haben, etwas zu erfinden, das nicht den Tatsachen entsprach, und sich mit einem so detaillierten, selbstanklagenden Bericht über inzestuöse Liebe um Kopf und Kragen schreiben? Es war möglich, dass Gwyns Version jener beiden Sommermonate der Wahrheit entsprach, ebenso war aber auch möglich, dass sie mich angelogen hatte. Und wenn sie gelogen hatte, wer konnte es ihr zum Vorwurf machen, dass sie die Tatsachen nicht ans Licht kommen lassen wollte? Jeder würde in ihrer Situation lügen, alle würden lügen, Lügen wäre die einzige Möglichkeit. Als ich mit der Subway nach Brooklyn zurückfuhr, kam ich zu dem Schluss, dass es für mich keine Rolle spielte. Für sie spielte es eine Rolle, aber für mich nicht.
Dann vergingen mehrere Monate, in denen ich nur sehr selten an Gwyns Vorschlag dachte. Ich hatte schwer mit meinem Buch zu kämpfen, mit den letzten Kapiteln eines Romans, der bereits einige Jahre meines Lebens verschlungen hatte, und Walker und seine Schwester rückten allmählich in den Hintergrund, schmolzen dahin, wurden zu zwei undeutlichen Gestalten am Horizont meines Bewusstseins. Wann immer Adams Buch mir einmal zufällig in den Sinn kam, war ich mir ziemlich sicher, dass ich nichts damit zu tun haben wollte, dass die Sache abgeschlossen war. Dann ereigneten sich zwei Dinge, die mich dazu brachten, es mir anders zu überlegen. Erstens gelangte ich ans Ende meines eigenen Buchs, und das hieß, ich war frei, meine Aufmerksamkeit anderen Dingen zuzuwenden; und zweitens stieß ich
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