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Unsichtbar

Unsichtbar

Titel: Unsichtbar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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auf neue Informationen in Zusammenhang mit Walkers Geschichte, eine Coda sozusagen, ein letztes kleines Kapitel, das dem Projekt in meinen Augen eine neue Bedeutung verlieh - und das gab mir den Anstoß, damit anzufangen.
    Ich habe bereits beschrieben, wie ich Walkers Notizen für Herbst aufpoliert habe. Was die Namen betrifft, so sind sie alle gemäß Gwyns Anweisungen frei erfunden, und der Leser kann daher sicher sein, dass Adam Walker nicht Adam Walker ist. Gwyn Walker Tedesco ist nicht Gwyn Walker Tedesco. Margot Jouffroy ist nicht Margot Jouffroy. Helene und Cecile Juin sind nicht Helene und Cecile Juin. Cedric Williams ist nicht Cedric Williams. Sandra Williams ist nicht Sandra Williams, und ihre Tochter Rebecca ist nicht Rebecca. Nicht einmal Born ist Born. Sein wahrer Name war dem eines anderen provenzalischen Dichters ähnlich, und ich habe mir die Freiheit genommen, die Übersetzung dieses anderen Dichters von Nicht-Walker gegen eine eigene Übersetzung auszutauschen, was wiederum bedeutet, dass die Bemerkungen über Dantes Inferno nicht in NichtWalkers ursprünglichem Manuskript gestanden haben. Zu guter Letzt muss ich wohl nicht noch eigens darauf hinweisen, dass mein Name nicht Jim ist.
    Westfield, New Jersey, ist nicht Westfield, New Jersey. Echo Lake ist nicht Echo Lake. Oakland, Kalifornien, ist nicht Oakland, Kalifornien. Boston ist nicht Boston, und wenngleich Nicht-Gwyn tatsächlich im Verlagswesen arbeitet, ist sie doch nicht Leiterin eines Universitätsverlags. New York ist nicht New York, die Columbia University ist nicht die Columbia University, aber Paris ist Paris. Paris allein ist real. Die Stadt konnte ich beibehalten, weil das Hotel du Sud schon vor langer Zeit verschwunden ist und weil mit ihm auch alle schriftlichen Aufzeichnungen von Nicht-Walkers Aufenthalt dort im Jahr 1967 ebenfalls längst verschwunden sind.

    Ich beendete meinen Roman im Spätsommer des letzten Jahres (2007). Kurz darauf planten meine Frau und ich eine Reise nach Paris (die Tochter ihrer Schwester heiratete im Oktober einen Franzosen), und die Gespräche über Paris lenkten meine Gedanken auf Walker zurück. Ich fragte mich, ob es mir gelingen könnte, einige der Mitwirkenden des gescheiterten Rachedramas aufzuspüren, das er dort vor vierzig Jahren eingefädelt hatte, und falls ja, ob einer von ihnen wohl bereit wäre, mit mir zu reden. Born interessierte mich besonders, aber ich hätte mich auch gern mit jedem der anderen hingesetzt und geredet - Margot, Helene oder Cecile. Bei den ersten drei hatte ich kein Glück, aber als ich Cecile Juin im Internet googelte, flatterten mir jede Menge Informationen auf den Bildschirm. Nach meiner Begegnung mit der Achtzehnjährigen in Walkers Manuskript wunderte es mich nicht, als ich las, dass sie Literaturwissenschaftlerin geworden war. Sie hatte an Universitäten in Lyon und Paris gelehrt und arbeitete jetzt seit zehn Jahren beim CNRS (Nationales Zentrum für wissenschaftliche Forschung) in einem kleinen Team, das Manuskripte französischer Schriftsteller des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts untersuchte. Ihr Spezialgebiet war Balzac, über den sie zwei Bücher veröffentlicht hatte; aber auch zahllose andere Aufsätze und Artikel wurden erwähnt, ein ganzer Katalog von Arbeiten, die sich über drei Jahrzehnte verteilten. Gut für sie, dachte ich. Und auch gut für mich, da ich jetzt einen Grund hatte, ihr zu schreiben.
    Wir tauschten zwei kurze Briefe aus. In meinem stellte ich mich als Freund von Walker vor, berichtete ihr, dass Adam vor kurzem gestorben sei, und fragte, ob wir uns bei meinem bevorstehenden Besuch in Paris einmal treffen könnten. Ich blieb kurz und sachlich, stellte keine Fragen über die Ehe ihrer Mutter mit Born, sagte kein Wort von Walkers Notizen für Herbst, ich bat einfach nur um ein Treffen mit ihr im Oktober. Sie antwortete umgehend. In meiner Übersetzung aus dem Französischen lautete ihr Brief wie folgt:

    Die Nachricht von Adams Tod hat mich tief erschüttert. Als junges Mädchen habe ich ihn vor vielen Jahren in Paris flüchtig kennengelernt, aber ich habe ihn nie vergessen. Er war die erste Liebe meines Lebens, und dann habe ich ihm einen hässlichen Streich gespielt, ihm etwas so Grausames und Unverzeihliches angetan, dass ich deswegen bis zum heutigen Tag ein schlechtes Gewissen habe. Ich habe ihm nach seiner Rückkehr nach New York einen Brief geschrieben und um Verzeihung gebeten, aber der Brief kam mit dem Vermerk Adressat

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