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Unsichtbare Blicke

Unsichtbare Blicke

Titel: Unsichtbare Blicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Maria Reifenberg
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Seine Achselhöhlen verströmten einen intensiven, aber schönen Duft. Das Kribbeln in meinem Bauch war garantiert keine Reaktion, die durch die Synästhesie hervorgerufen wurde.
    Er drehte sich auf die Seite, sodass mein Kopf auf dem Dreieck landete, das sein Ober- und Unterarm bildete. Er küsste meine Augenbrauen, meine Stirn, zupfte mit den Lippen an meinem Ohrläppchen, leckte mit langer, ausgestreckter Zunge ganz plötzlich über meine Wange und lachte. Dann wurde er wieder ganz leise. «Du schmeckst salzig», flüsterte er.
    «Und nach Eissplittertorte», sagte ich.
    «Echt?»
    Ich nickte.
    «Glaub ich nicht.»
    «Doch», sagte ich, hob den Kopf, küsste ihn und drehte ihn mit einem überraschenden Schwung auf den Rücken, ohne meinen Mund von seinem zu lösen.
    «Schtümmt», nuschelte er. «Läkka. ’sch wüll mehr.»
    Und ich gab ihm mehr.

23
    Er hatte nicht mit solchen Widrigkeiten gerechnet. Mücken. Millionen von Mücken, die sich auf ihn stürzten. Das war schlecht, du hättest dich besser vorbereiten müssen, beschimpfte er sich, aber nun war es nicht mehr zu ändern. Endlich konnte er sich den Jungen anschauen, der seiner Kleinen den Kopf verdreht hatte.
    Das war also der Italiener, Felix. Seinetwegen hatte sie Geronimo ausgeloggt, einfach so.
    Geronimo hatte sich gekümmert, sich ihre Geschichten angehört, oft auch ihr Gejammer. Er hatte sich all die seifige Musik angehört, die sie mochte, ihre Deutschklausur gerettet, sie hätte falschgelegen, völlig dumm dagestanden. Freundschaft funktionierte anders, das müsste er ihr noch beibringen.
    Selbst im größten Dreck hatte er Freundschaft immer hochgehalten. Blut war dicker als Wasser, hieß es zwar, aber das war einer von den dummen Sprüchen, nein, nein, nein. Auch Freundschaft konnte durch Blut besiegelt werden. Geronimo wusste das.
    Man sah dem Jungen die welsche Herkunft nicht auf den ersten Blick an, aber wenn er ihn heranzoomte, verrieten ihn die Augen doch, tief und schwarz waren sie, hatten den öligen Glanz seiner Vorväter.
    Ein hübscher Bursche, das musste er zugeben, unter anderen Umständen hätte er vielleicht ein Auge zugedrückt und die Sache durchgehen lassen. Sie hätte ihn ordentlich vorstellen müssen, so wie er es getan hatte, die ganze Familie, Kuchen, heile Welt hatten sie gespielt. Meistens war es doch gespielt, auch wenn er Krokodilstränen am Grab seiner Mutter verdrückt hatte.
    Wenn der Kerl sie beschmutzte, würde er ihn dafür büßen lassen.

7 . Januar 1988
    Alle nahmen sich in Acht vor ihm, die Erzieher und die Wachleute und sogar Elfe, die Frau in der Küche, die gar nicht wie eine Elfe aussah, sondern wie ein Gerippe, mit einem schmutzigen Kopftuch, das sie hinter dem Kopf knotete. Sie nahm sich in Acht, dabei machte sie sonst bei allem mit, wenn die Jungs sie gut bezahlten.
    Nur bei ihm nicht, aber er hatte das auch nicht gewollt. Als schon keiner mehr von der Sache gesprochen hatte, war nur noch Elfe es gewesen, die ihre dünnen Lippen verzogen hatte. «Dem Psycho nich’», hatte sie gesagt, «dem lass ich nich’ ran, am Ende lieg ich da wie der kleine Idiot.»
    Für alles musste gezahlt werden, nichts gab es umsonst, und wenn es anfangs so schien, als sei etwas umsonst, wurde es nachher umso teurer, das hatte er schnell gelernt nach der Sache mit dem kleinen Werner, der nicht ganz tot gewesen war. Viel schlimmer, Tommi hatte ihn zu einem Idioten gemacht, einem, der nicht einmal zahlen musste, als die anderen ihn auf Elfe legten. «Geile Sau, du musst Spucke nehmen», hatte Monk geschrien, «die alte Elfe wird nicht feucht von dir, Spasti.»
    Dem kleinen Werner hatte es gefallen, und Elfe hatte dagelegen, wie sie es bei allen Jungs machte. Außer bei Tommi. Manchmal hasste er das dürre Weib dafür.
    Ein paar Minuten war der kleine Werner vielleicht auch tot gewesen, das wusste keiner, auf jeden Fall hatte sein Gehirn nicht mehr genug Sauerstoff gehabt, das war gemein, das war so gemein. Tommi hatte lange darüber nachgedacht, während er im Bunker saß. Und er saß oft im Bunker, für jede Kleinigkeit kam er rein, keiner sprach mehr über die Sache mit dem kleinen Werner, aber er musste weiter dafür bezahlen.
    An seinen Geburtstagen saß er im Bunker, dann erst recht, jedes Jahr, einfach so, ohne dass er etwas angestellt hatte. Er sollte nicht den Tag feiern, an dem er geboren war, das hatte er schon verstanden, aber es machte ihm auch nichts. Was die hier unter Geburtstagsfeier verstanden, war nicht

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