Unsichtbare Kräfte
benachbarten Haziendero Lerdo de Tejada. Dieser Tejada, aus spanischem Blut entsprossen, schien nicht in besonderem Ansehen zu stehen. Hier lag zweifellos der Schlüssel zu Oswalds gewagter Reise nach La Cima.
Während der Unterredung mit Dona Virgina hatte Arvelin dem Gespräch eine Wendung zu geben gewußt, die zu Lerdo de Tejada führte. In seltsamer Nervosität hatte sie ihm von dem Gutsnachbar erzählt; dabei immer wieder erwähnt, wie sehr er ihr während der schweren Kriegszeiten zur Seite gestanden. Schon die Dankbarkeit gebot es, so versicherte Dona Virginia, ihm ihr Jawort nicht zu verweigern, als er um sie warb.
Jedenfalls aber schien Oswald Winterloo den Entschluß seiner Mutter nicht zu billigen. Morgen nachmittag würde er hier sein!
Arvelin zog eine Landkarte aus der Tasche. Die alte Caraibenstadt.
Schon vor seiner Reise hatte er sich mit den Kulturdenkmälern der Ureinwohner Venezuelas in großen Zügen beschäftigt. Im Gespräch mit Dona Virginia hatte er die Ruinen nördlich von San Fernando erwähnt. Ihre Auskünfte reizten seine Wißbegier. Die Zeit bis zu Hauptmann Winterloos Erscheinen genügte vollauf zu einem flüchtigen Besuch der historischen Stätte.
Als jetzt Oswalds Mutter wieder eintrat, erhob er sich, teilte ihr seine Absicht mit und verabschiedete sich. Dona Virginia begleitete ihn vor das Tor, wo er seinen Geleitsmann mit den Pferden fand. Sie sprach ein paar Worte mit dem Mestizen. Der nickte lebhaft, deutete nach Norden, war gern bereit, die Führung zur Caraibenstadt zu übernehmen. —
»Warum wollten Sie den Deutschen nicht sehen, Don Lerdo?«
Der Angeredete wandte sich ab. »Er wird ja morgen wiederkommen, wenn Ihr Sohn da ist, Dona Virginia. Ich werde dann noch Gelegenheit haben, ihn kennenzulernen.«
Er wehrte die Versuche Virginias ab, die ihn zum Bleiben nötigen wollte, wandte sich nach kurzem Gruß ins Freie und bestieg sein Pferd.
Diese deutsche Erbschaft, brummte er, während er scharf nach San Fernando zuritt, ist jedenfalls nicht zu verachten. Mir würde es ja niemals einfallen, deshalb nach Europa zu gehen. Aber es ist sehr wohl möglich, daß dieser Oswald es tut. Und vielleicht wird er gar seine Mutter bewegen wollen, ihn zu begleiten.
Dann wäre alles umsonst gewesen! Das würde für mich das Ende bedeuten. Das kann, darf nicht sein!
Der Kommandant in San Fernando ist auf die Brasilianer schlecht zu sprechen. Nebenbei ein rabiater Bursche, der sich nicht viel um diplomatische Schwierigkeiten scheren wird. Wenn man’s möglichst schlau einfädelt ... Ich muß mich stellen, als täte ich alles nur im Interesse des Vaterlandes. Unbegreiflich überhaupt, daß der Hauptmann die Reise wagt! Er muß doch damit rechnen, in Spionageverdacht zu geraten. Die Kriegsgerichte in Venezuela sind schnell bei der Hand - es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn der Kommandant sich solchem Hinweis verschließen wollte ...
*
Nach mehrstündigem Ritt kam Arvelin mit seinem Begleiter zu den Ruinen der Caraibenstadt. Er entließ den Führer und band sein Pferd an einem Farnbaum fest.
Über ein mit Obsidiansteinresten besätes Gelände näherte er sich den Trümmern eines Tempels und trat ein.
Dann schritt er hinaus, ging auf kleinem, schmalem Pfad auf einen Hügel zu. Links und rechts von ihm ragten aus dem wuchernden Urwaldgestrüpp Reste kleinerer Pyramiden. Der Weg war wohl früher eine breite Straße zu jenem Hügel gewesen.
Am Ende dieses anscheinend auch heute noch häufig begangenen Weges gelangte Arvelin auf die Anhöhe. Vergeblich suchte er hier eine Fortsetzung des Pfades. Da er jedoch noch mehr Ruinen von Tempelanlagen auf dem Hügel vermutete, begann er sich aufs Geratewohl durch das Dickicht zu zwängen. Er kam schon nach wenigen Schritten leichter voran. Denn hier hatte, wie er vermutet, ehedem eine breite Treppe, im Anschluß an die alte Allee, zu dem Tempel geführt. Unschwer erreichte er das Plateau.
Von den Riesenkronen der Waldbäume überschattet, lagen die Tempelruinen vor ihm. Geräusch in seinem Rücken ließ ihn aufhorchen. Er wandte sich um: Ein alter Indio kam durch das Buschwerk hinter ihm drein.
Arvelin redete ihn spanisch an. Auf Arvelins Bitten war der Rothäutige gern bereit, ihm die Anlagen des Heiligtums zu zeigen und zu erklären. Mit einer leichten Neigung des Kopfes bedeutete er Arvelin, ihm zu folgen. Er schritt auf ein Risperogebüsch zu, bog die Zweige auseinander. Über Trümmer von Steinplatten, die mit zum Teil gut erhaltenen
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