Unsterbliche Bande
Ähnlichkeit mit Beths ältester Schwester –, deswegen bekamen sie sie nur selten zu Gesicht.
Nach dem Einzug hatte Beth allerdings gemerkt, dass sie nicht so fit war, wie sie gedacht hatte. Die Treppen waren ein billiges Trainingsgerät. Mittlerweile legte sie die vier Stockwerke im Laufschritt zurück. Der Weg hinunter war einfach.
Als sie auf dem Gehweg ankam, war Seans BMW nirgendwo in Sicht. Er war um den Block gefahren. Er hasste es, wenn andere in zweiter Reihe parkten, deswegen tat er es selbst auch nicht.
In San Francisco war es sehr viel kälter als in San Diego. Beth stellte den Rucksack auf den Boden und schlüpfte in ihre Jacke, ohne den Reißverschluss zu schließen, sonst wäre der Pullover nicht zur Geltung gekommen. Sie tätschelte das butterweiche Leder und lächelte. Sie war nagelneu. Ein Weihnachtsgeschenk von Sean. Wenn er glauben wollte, das wäre nur die Fürsorge eines Freundes, dann sollte er das ruhig tun … noch ein Weilchen zumindest.
Ein Fahrradfahrer zischte vorbei, seine Beine pumpten auf und ab. Zwei Highschoolschülerinnen eilten über die Straße. Ein älteres Paar ging an ihr vorbei, das darüber sprach, in welches Restaurant es heute Abend gehen wollte, und ein junger, dunkelhaariger Typ mit gekrausten Haaren bis zu den schmalen Schultern blieb stehen, runzelte die Stirn, ohne dass zu erkennen war, worüber, drehte sich um und ging in die andere Richtung. Der außerordentlich gut gebaute, aber recht unattraktive Mann, der zwei Türen weiter wohnte, trat aus dem Gebäude und sah auf die Uhr. Beth griff nach ihrem Rucksack.
Die Kampfkunst, die sie sich ausgesucht hatte, hieß Bojuka, eine Mischung aus Boxen, Jiu-Jitsu und Karate. Dabei trug man Straßenkleidung, kein
Gi
, und es war ausschließlich zur Selbstverteidigung gedacht, kein Sport. Beim Bojuka ging es allein darum, Angriffe abzuwehren, und der erste Schritt bestand darin, wachsam zu bleiben, die Gefahr zu erkennen, bevor es zu spät war. Sie wurde immer besser darin.
Vor einem Jahr, einem Monat und zwei Wochen war Beth außerstande gewesen, sich gegen irgendeinen Angriff zu wehren, der nicht verbal war. Mit abfälligen Bemerkungen kam sie klar, mit Menschen mit Schusswaffen, Messern und Muskeln, die unter Adrenalin standen, dagegen nicht so sehr. Sie war zwar mithilfe von Magie entführt, aber mit brutaler Gewalt festgehalten worden, um ihre Schwester zu erpressen.
So hilflos wollte sie sich nie wieder fühlen.
Eine glänzende schwarze BMW mit viel Chrom bog an der Ampel in die Straße ein. Ein Monster von einem Motorrad, bullig und stark und trotzdem elegant. So wie sein Fahrer.
Beths Herz machte einen kleinen Satz, als sie sich den Rucksack umschnallte. Sie konnte Seans Gesicht nicht sehen – das Visier des Helms verdeckte alles bis auf seinen Kiefer und seinen wundervollen Mund. Aber mehr war auch nicht nötig. Sie mochte vielleicht nicht so genau, wie es ihr lieb gewesen wäre, wissen, wie sein Körper sich anfühlte, aber wie er aussah, das wusste sie.
Er hielt am Straßenrand. Der Motor der BMW schnurrte wie eine Horde zufriedener Katzen. »Hi, Nerd«, sagte sie und schwang ein Bein über den Sitz. »Willst du ein bisschen Spaß?«
Er grinste sie über die Schulter an. »Helm, Party Girl. Der Spaß geht erst los, wenn du den Helm aufhast.«
Sie verdrehte die Augen, machte dann aber den Helm los, der hinter ihr festgeschnallt war. Als sie ihn aufgesetzt hatte, fuhr er los … langsam. Wenn sie hinter ihm saß, fuhr er immer vorsichtig, doch sie hatte ihn überredet, einmal mit ihr aus der Stadt hinauszufahren und richtig aufzudrehen.
Beth legte die Arme um Seans warme, feste Taille und legte sich mit ihm in die Kurve. Der Kurs fand in einem Einkaufszentrum gut zwanzig Minuten entfernt statt, also entspannte sie sich und genoss die Fahrt.
Sie war froh, dass sie sich für Bojuka entschieden hatte, trotz der ungünstigen Lage des Kursortes. Und trotz der Tatsache, dass es Lilys Empfehlung gewesen war. Erstens, weil sie so aufhören musste, ihre Schwester zu hassen. Genauer gesagt ihre beiden Schwestern, aber vor allem Susan. Susan war die Älteste, die Kluge, die Brave, die Ärztin geworden war und einen Mann geheiratet hatte, der aus der richtigen Familie kam. Es lag in der Tradition chinesischer Familien, dass die jüngeren ihre älteren Geschwister hassten, und es lag ihr fern, gegen Traditionen zu verstoßen. Aber Lily … jahrelang war Lily die Rebellin gewesen. Die, die ihre Mutter enttäuscht
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