Unsterbliche Bande
Das Gesicht weiter Isen zugewandt, sagte Rule leise: »Leidolf! Zu mir.«
Es befanden sich sechzehn Leidolf auf dem Clangut – die Wachen, die zum Schutz von Rule und Lily abgestellt waren. Sechzehn Männer, die nun schweigend und ruhig zu ihm kamen … und er spürte sie. Das war neu. Er hatte nicht gewusst, dass das möglich war, aber er spürte tatsächlich, wie sich ihm seine Clanmänner näherten. Es löste ein ganz anderes Gefühl in ihm aus als das Band der Gefährten, das ihn immer spüren ließ, wo Lily war, sehr viel subtiler, eher wie ein schwaches Lüftchen an einem heißen Tag. Etwas regte sich hinter ihm, und er wusste instinktiv, was es war.
Er drehte sich um, ließ kurz den Blick auf jedem Einzelnen von ihnen ruhen und erkannte sie. Das hieß, er wusste, wer sie waren, und die Clanmacht erkannte sie. Aber zum ersten Mal waren sein Wissen und das Erkennen der Macht eins. Er erkannte sie, und sie gehörten ihm. »Leidolf«, sagte er, so laut, dass die Nokolai und die anderen Clans ihn hören konnten, »antwortet mir nun wahrheitsgemäß. Wenn ich euch zu einer früheren Gelegenheit Anweisungen gegeben haben sollte, die zur Folge hätten, dass ihr Informationen zurückhaltet, täuscht oder lügt, dann missachtet sie nun. Hat einer von euch Kenntnis von diesem Diebstahl oder kennt gar den Dieb?«
Manche schüttelten den Kopf, manche sagten Nein. Einige wenige taten beides.
»Hat jemand unter euch mit jemandem, der heute nicht anwesend ist, über Cullen Seabournes Werkstatt gesprochen?«
Dieses Mal sagten die meisten Nein, laut und bestimmt. Damit die Nokolai es hörten. Einer sagte nichts. Rules Herz tat einen heftigen Schlag, schnell brachte er es wieder unter Kontrolle. »Scott. Du hast nicht geantwortet.«
»Ich wusste nicht, wie. LeBron und ich haben uns manchmal darüber unterhalten. Er ist nicht hier.«
Dieses Mal war die Erleichterung echt und überaus spürbar. Rule wandte sich Isen zu. »LeBron starb, als er meiner
nadia
das Leben rettete. Da er nicht für sich selbst sprechen kann, werde ich es für ihn tun. Er hat weder die Leidolf noch unser Bündnis mit den Nokolai verraten. Das schwöre ich bei der Ehre der Leidolf.«
Isen reagierte nicht. Andere schon, indem sie scharf Luft holten, mit den Füßen scharrten, unruhig wurden. Rule hätte auf seine eigene Ehre schwören können. Dass er es auf die der Leidolf tat, bedeutete, dass sein Schwur nur infrage gestellt werden konnte, wenn Isen bereit war, den ganzen Clan herauszufordern.
Wahrscheinlich war das ein wenig übertrieben, doch das war Rule egal. LeBrons Name sollte geehrt werden, nicht durch Zweifel beschmutzt.
Isen senkte wieder den Kopf, dieses Mal eine winzige Spur mehr – er würdigte Rules Entgegenkommen. »Die Nokolai akzeptieren den Schwur der Leidolf und danken dir für deine Hilfe. Möchte der Rho der Leidolf nun noch etwas anmerken oder fragen?«
»Vorerst haben die Leidolf nichts mehr beizutragen. Wir befinden uns auf eurem Land. Wir respektieren eure Rechte und Pflichten in dieser Angelegenheit.«
»Dann möchte ich mit meinem Lu Nuncio reden.«
Rule hatte den Rollenwechsel vom Lu Nuncio zum Rho und wieder zurück nun schon oft mit seinem Vater vorgenommen. Manchmal war es knifflig, so wie ein Puzzle, aber wirklich schwer war es ihm nie gefallen.
Heute war das anders.
Der Rho der Nokolai rief ihn zu sich, benutzte ihn und zwang ihn dann wieder in eine geringere Rolle als die, die ihm zustand. Und das vor allen anderen, um ihnen zu zeigen, dass ein Leidolf tat, was ein Nokolai ihn hieß. Das war … Rule holte langsam Luft. Das war völlig in Ordnung. Als Rule das erste Mal in die Rolle des Anführers der Leidolf gedrängt wurde, hatte sein Rho mit ihm über die Probleme gesprochen, die es mit sich brachte, wenn er für den einen Clan der Rho, für den anderen der Lu Nuncio war. Er hatte zugestimmt, hier auf dem Clangut der Lu Nuncio der Nokolai zu sein, nicht der Rho der Leidolf. Heute Nacht hatte Isen nur akzeptiert, dass er die andere Rolle einnahm, weil er damit die Leidolf von dem Verdacht der Mittäterschaft reinwaschen konnte, doch das änderte nichts an ihrer ursprünglichen Übereinkunft.
Isen hatte sein Zögern bemerkt, daran konnte kein Zweifel bestehen. Und andere möglicherweise ebenfalls. »Mir ist eingefallen, wie die Leidolf behilflich sein könnten. Ich könnte meine eigenen Männer zu Tobys Schutz abstellen, dann können sich deine Männer ganz auf ihre anderen Pflichten
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