Unsterbliche Leidenschaft
vielleicht. Ich glaube, die Beziehung zu meinem Vater ist nicht besonders gut. Ich habe das Gefühl, dass wir in vielen Dingen unterschiedlicher Meinung waren.«
»Aha.« Er schwieg einige Meilen lang. »Ich verstehe. Ich war eine bittere Enttäuschung für meine Eltern.«
»Du, Tom? Du warst doch ein berühmter Dramatiker.«
»Genau da lag das Problem. Der gesellschaftliche Schein, das, was sich ziemt, war für meine Eltern sehr wichtig. Mein Vater war gelernter Schreiber und wollte, dass ich in seine Fußstapfen trete. Genau das habe ich nicht getan, folgte stattdessen meinen eigenen Idolen und ließ mich mit Schauspielern und allerlei zwielichtigem Volk ein.« Er hielt inne. »Mein Vater sagte immer, es würde schlimm mit mir enden. In dem Punkt hatte er recht. Jedenfalls nach sterblichen Maßstäben. Wäre ich zu Hause geblieben, hätte ich sicher ein hohes, ehrenvolles Alter erreicht.«
Angela streckte den Arm aus und drückte seine Hand. Sie wusste nicht so recht, was sie sagen sollte. Über sein Leben als Sterblicher und die eher unglücklichen Umstände seines Todes hatte er bisher nie gesprochen.
Er verschränkte seine Finger mit ihren. »Gewiss«, fuhr er fort, »wäre ich mit vierzig oder fünfzig an Blinddarmentzündung oder Masern oder vielleicht, des unreinen Wassers wegen, an Typhus gestorben. Ich hätte niemals Kit und Justin kennengelernt, und auch in dich hätte ich mich nie verlieben können.« Er beugte sich zu ihr herüber und küsste sie. »Insgesamt, bei allem gebührenden Respekt meinem Vater gegenüber, bin ich doch verdammt froh, dass ich meinen eigenen Weg gegangen bin.«
»Du hast es dir nicht ausgesucht, ein Vampir zu werden, stimmt’s?«
Er lachte in sich hinein. »Es ist einfach passiert. Ein bisschen so wie bei Stella. Ich hatte Justin einige Male getroffen, zusammen mit Kit. Beide verkehrten in der Clique um Walter Raleigh, viel zu hochtrabend für mich. Kit und ich haben uns eine Zeit lang eine Kammer geteilt. Wir hatten es uns angewöhnt, unsere Texte jeweils gegenzulesen. Der mit den meisten Fehlern spendierte einen Krug Ale. Kit war ein guter Kumpel, aber immer beschäftigt und unter Leuten. Er entwickelte sich weiter, in eine anspruchsvollere Richtung, dachte ich damals.«
»Später hat er mir dann gesagt, er wollte nicht, dass ich hineingezogen werde in sein Netz politischer Machenschaften und Intrigen. Aber geschnappt haben sie mich trotzdem. Walsinghams Schergen hielten mich für Kit, und nachdem sie mich schon mal hatten, beschlossen sie, mich auch zum Reden zu bringen.« Er verstummte. Angela schauderte bei dem Gedanken, mit welchen Mitteln sie Tom zum Reden gebracht hatten. Seine verkrüppelten Finger sprachen Bände. »Du würdest die Lügen nicht glauben, die ich ihnen erzählt habe, nur damit sie aufhörten. Als sie mich dann endlich in Ruhe ließen, lag ich im Stroh, wieder gepeinigt, dieses Mal von Schuldgefühlen, weil ich Kit verraten hatte. Als ich hörte, dass er tot war, wollte ich selber sterben. Aber ich lebte. Nach meiner Freilassung wollten meine Eltern nichts mehr mit mir zu tun haben. Ich war ein todgeweihter und in Ungnade gefallener Mann, und diese Schande konnten sie nicht ertragen. Kann sein, dass auch Angst im Spiel war. Sie scheuten das Risiko, indirekt eine Mitschuld angehängt zu bekommen. Ich fand Unterschlupf in einer alten Bruchbude, wo mich Justin ein paar Wochen später finden sollte. Er brachte mich in ein Haus in Sussex. Der Rest ist, wie man sagt, Geschichte. Ich starb, wie ich später erfahren habe, früher als erwartet und wurde von Kit verwandelt. Das Aufwachen war ein ziemlicher Schock, galten doch Vampire damals als Kreaturen des Teufels.«
»Wie Hexen irgendwie?« Sie wollte nicht unterbrechen. Aber …
Er lachte. »Eins zu null für dich.«
»Und wie sieht’s mit einer Ghul-Hexe aus?«
»Wie schon? Ich liebe sie. Das weißt du doch, oder? Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie froh ich darüber bin, dass Kit mich seiner Lebensweise anverwandelt hat. Anstatt in einem Armengrab zu vermodern, lebte ich weiter, um dich kennen und lieben zu lernen.«
Sie wäre ihm am liebsten um den Hals gefallen, aber er saß am Steuer, und auf die Straße musste sich selbst ein Vampir konzentrieren. »Ich liebe dich auch, Tom, und wollte dich eigentlich nicht unterbrechen.«
»Es gibt ohnehin nicht mehr viel zu sagen. Ich dachte bloß, über meine unehrenwerte Vergangenheit solltest du vielleicht Bescheid wissen. Bist du sicher bereit,
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