Unsterbliche Leidenschaft
Schulter zu Angela hochgeblickt hatte, die wie eine Silhouette im hell erleuchteten Fenster stand, legte Tom ein paar Meter in gemächlichem Schritttempo zurück, ehe er vampirmäßig Gas gab und losrannte. Die Straßen waren so gut wie menschenleer; und wer würde auch schon, an einem Abend mitten im Februar, einen vorbeisausenden Luftzug bemerken?
Schon bald hatte er die dunkle Lagerhalle erreicht. Totenstille weit und breit. Gut. Er strich um die Rückseite des Gebäudes herum und sprang auf das Dach. Alarmsystem schien es keines zu geben. Die einzige Sicherheitsmaßnahme bestand in einem einzigen einsamen Wachmann, der, seinem Herzschlag nach zu urteilen, sich im Tiefschlaf und weit jenseits des Pensionsalters befand. Da empfahl es sich, doppelt vorsichtig zu sein. Nicht dass der alte Zausel noch einem Herzschlag erlag!
Wieder auf festem Grund und Boden, steuerte Tom die Tür an, die direkt zum Büro führte. Mit einem Spezialdietrich, den er extra mitgenommen hatte, hatte er sie in Sekundenschnelle geöffnet und, nachdem er hineingeschlüpft war, wieder verschlossen. Der Computer, der zuvor noch auf dem Fußboden gestanden hatte, war verschwunden. Mist! Hatten sie ihn schon weggebracht? Er ließ den Blick über die metallenen Aktenschränke gleiten, die beiden umgekehrt auf dem grauen Metallschreibtisch abgestellten Stühle und die an der Wand gestapelten Kisten. Davor, das hätte er schwören können, waren es nicht so viele gewesen.
Der Computer stand verpackt und fix und fertig verklebt in einem Karton. Er riss das braune Klebeband ab, wobei er mehr Lärm machte als beabsichtigt, öffnete den Karton und nahm den Computer heraus. Es dauerte nur ein paar Minuten, die Kunststoffabdeckung abzuschrauben, die Festplatte herauszunehmen und das Gehäuse wieder zu verschließen. Nachdem er den Karton wieder verklebt und die Festplatte eingesteckt hatte, sah er sich um. Gab es noch mehr Computer? Geschäftsunterlagen? Natürlich konnte er keine Akten mitschleppen – eine schnelle Flucht wäre damit unmöglich gewesen –, aber vielleicht Disketten. Wer würde im Trubel des allgemeinen Aufbruchs und des Resteverkaufs schon ein paar Disketten vermissen?
Der Aktenschrank war leer, auch die Schreibtischschubladen. Die anderen Kartons enthielten Schreibtischlampen, Kaffeebecher, Telefonbücher und … Mist! Der Nachtwächter war aufgewacht und näherte sich dem Büro.
Tom sprang in die Höhe und stützte sich, quer liegend, diagonal vor der Ecke zwischen Tür und dem kleinen Fenster ab. Er hoffte inständig, der Mann würde nicht nach oben sehen. Wenn doch, würde der alte Knacker leider sein Gedächtnis verlieren.
Der Lichtstrahl einer Taschenlampe streifte eher beiläufig durch den leeren Raum, ehe die Tür wieder zuging. Dafür ging das Licht in dem kleinen Nebenraum an; den Geräuschen nach zu urteilen, machte sich der Mann eine Tasse Tee. Ein heißes Getränk in einer kalten Nacht gönnte Tom ihm von ganzem Herzen, aber Angela erwartete ihn längst zurück und kaute höchstwahrscheinlich schon an ihren Nägeln.
Tom sprang herunter und achtete dabei genauestens auf die Geräusche auf der anderen Seite der Wand. Er klopfte sich noch schnell die Jacke ab, um sich zu überzeugen, dass die Festplatte sicher darin verstaut war, und öffnete dann die Tür zur Straße, wo er einem langsam vorbeifahrenden Polizeiauto direkt in den Weg lief.
Verflixt und zugenäht! Tom sprang wieder auf das Dach der Halle, um von dort aus im Schutz der Dunkelheit von einem Gebäude zum anderen überzusetzen und auf diese Weise das rotierende Blaulicht und die Rufe weit hinter sich zu lassen. Schließlich war er weit genug entfernt und konnte nicht mehr entdeckt werden, aber er war in die falsche Richtung gelaufen.
Er befand sich mitten in einem Wohngebiet auf dem Dach eines Pubs. Dem bierseligen Trubel auf der Straße nach zu urteilen, war gerade Sperrstunde. Mist aber auch! Zu viele verdammte Sterbliche unterwegs. Er überlegte kurz und versuchte sich zu orientieren, sah das dunkle Band des Flusses zu seiner Rechten und kletterte schließlich an der dunklen Seite des Pubs hinunter. Er war in einem dunklen Hof gelandet, umgeben von Mülltonnen und Stapeln von Holzsteigen. Von dort aus übersprang er die rückwärtige Mauer, musste aber auf den Stacheldraht achten, der das Grundstück schon seit viktorianischer Zeit zu schützen schien. Die Seitengasse war absolut still; die Pubgäste entfernten sich mit viel Palaver über die
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