Unsterbliche Liebe
eine steinerne Gruft. Auch sie war schon ein wenig heruntergekommen, hatte dadurch aber nur wenig von ihrer imposanten Wirkung eingebüßt. Sie war von oben bis unten mit schnörkelhaften Verzierungen versehen, von welchen viele noch zu erkennen waren.
Das war es, was Eliya ihr zeigen wollte? Etwas enttäuscht ließ Ayla die Schultern fallen.
Ein Friedhof, wie romantisch , dachte sie bei sich.
„Und?“, fragte Eliya gespannt auf ihre Reaktion.
„Ähm …“, entgegnete Ayla, „ich weiß nicht, was ich sagen soll.“
Er grinste. „Dachte ich mir schon, dass du nichts hiervon weißt“, sagte er amüsiert und seine alte Überheblichkeit war wieder zurück.
„Was du hier vor dir hast“, fuhr er fort, „ist neutrales Gebiet.“
Ayla sah ihn verblüfft an. „Neutrales Gebiet? Was soll das heißen?“
„Das soll heißen“, erklärte Eliya, „dass wir uns hier wede r auf Satari- noch auf Vulparigebiet befinden. Hier kannst weder du mir noch ich dir etwas zu Leide tun. Neutrales Gebiet eben.“ Er sah sie verschmitzt an.
Ayla konnte nicht glauben, was sie da hörte. Wie konnte es sein, dass sie noch nie davon gehört hatte, dass es so etwas wie neutrales Gebiet gab?
Wieder schien er ihre Gedanken zu lesen und erklärte weiter: „Diesen Ort kennen nicht viele Vampire, weder unter den Vulpari, noch unter den Satari. Er diente damals nach der großen Spaltung als Verhandlungsplatz, um Unstimmigkeiten auf neutralem Boden zu besprechen. Es gab zu dieser Zeit noch einige Gebietskämpfe und man brauchte einen Ort, an dem diplomatisch verhandelt werden konnte. Man einigte sich auf diesen Platz, der genau in der Mitte zwischen der Satariburg und der unterirdischen Vulparistadt liegt. Zum Zeichen dafür, dass der Ort beiden Vampirclans auf gewisse Weise heilig sein und nicht durch Blutvergießen entweiht werden sollte, legte man die beiden Leichname von König Achytos I. und Yvan von Vulpari hier in der Gruft ab. Es sollte beide Clans daran erinnern, dass die beiden ehemaligen Anführer nicht umsonst gestorben sind. Immer, wenn in Gebietskämpfen ein weiterer Vampir getötet worden ist, hat man ihn hier begraben. Wie du siehst, hat es glücklicherweise fast keine frischen Gräber. Ich hoffe, dass ich mir mit meinen Gebietsübertritten nicht mein eigenes Grab geschaufelt habe.“
Er lächelte unsicher und sah Ayla an. Sie schoben sich durch die Büsche und betraten das neutrale Land. Es war ein seltsames Gefühl. Bisher hatte in Aylas Kopf die strikte Trennung von hier und dort geherrscht. Jetzt befand sie sich auf einmal an einem Ort, der weder noch war. Ein Gefühl des luftleeren Raumes hing über dem ganzen Platz. Es war jedoch nicht unangenehm. Im Gegenteil. Obwohl dies ein Friedhof war, herrschte eine friedliche Atmosphäre.
Eliya ging auf die Gruft zu und deutete Ayla an, ihm zu folgen. Vorsichtig öffnete er die schwere Pforte. Aus dem Innern der Gruft schlug ihnen kalte Luft und ein modriger Geruch entgegen.
„Komm!“, ermunterte Eliya sie und stieg hinab. Die Treppe war nicht sehr lang und schon nachdem sie wenige Stufen heruntergestiegen war, erkannte Ayla zwei Särge in der Mitte der Gruft. Links und rechts davon waren steinerne Bänke an den Wänden aufgestellt.
Eliya war schon unten angekommen. Er trat an den ersten Sarg und klopfte leicht darauf, als wolle er den Toten darin wieder zum Leben erwecken.
„Das hier“, sagte er, „ist die letzte Ruhestätte von Yvan von Vulpari, dem großen Anführer der Revolutionäre.“
Er ging um den ersten Sarg herum und trat an den Zweiten heran. Behutsam fuhr er mit der Hand darüber. Dann sagte er mit festem Blick an Ayla gerichtet: „Und in diesem hier liegt euer werter König Achytos I., großer Held und Vorfahre der Satari.“
Ayla war inzwischen auch in der Gruft angekommen, näherte sich den Särgen aber nicht.
Eliya sah sie forschend an. „Ist es nicht einmalig, am Grab der zwei Urväter unserer Clans zu stehen, ich, ein Vulpari und du, eine Satari? Und wir springen uns nicht gegenseitig an die Gurgel! Zumindest bis jetzt noch nicht.“ Er lachte jungenhaft.
Ayla wusste nicht, was sie sagen sollte. Es war ihr unangenehm, dass er sie a uf die Vergangenheit ihrer Völker ansprach, wo sie doch vor Kurzem erst herausgefunden hatte, dass sie mit den Grundsätzen ihres Clans nicht einverstanden war. Es erfüllte sie sogar eher mit Ehrfurcht, vor dem Grabe von Yvan von Vulpari zu stehen, einem Vampir, der für seine Überzeugung gekämpft hatte,
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