Unsterbliches Verlangen
fest, allerdings nicht so fest, dass es ihr weh tun könnte.
Nun legte sie eine Hand an seine Wange, weil sie ihn fühlen wollte.
»Ich möchte, dass du gehst.«
»Was?!« Er war ebenso überrascht wie sie selbst.
Doch sie streichelte weiter seine Wange. Die Bartstoppeln kratzten an ihren Fingerspitzen. »Du solltest Rosecourt verlassen.«
»Und dich verlassen? Nein!« Er klang verärgert, fast wütend, dass sie es überhaupt vorschlug.
»Der Orden kommt nicht zurück, und das weißt du. Sie haben, was sie wollten.«
»Zum Teufel mit dem Orden!«, sagte er so harsch, dass Pru zusammenzuckte. »Der ist mir egal. Ich verlasse dich nicht!«
»Ich will nicht, dass du hier bist, wenn ich ... gehe.« Vor Jahren war eine Tante von ihr an Krebs gestorben, und sie erinnerte sich gut, was die Krankheit am Ende mit ihr gemacht hatte. »Ich will nicht, dass du siehst, was es mit mir anstellt.«
»Ich habe es schon gesehen.«
»Aber es wird schlimmer.«
»Das ist mir gleich.« Warum musste er so verdammt stur sein? »Ich verlasse dich nicht, Pru.«
Tränen liefen, ihr über die Wangen. »Aber ich will nicht, dass du dich so an mich erinnerst!«
Seine eine Hand umfasste ihr Kinn und ihre Wange. »Ich werde dich als meine wunderschöne, neugierige, zauberhafte Pru in Erinnerung behalten - für immer.«
Nun weinte sie bitterlichst, als hätten seine Worte und seine Berührung eine Schleuse in ihr geöffnet, die sie viel zu lange schon mühsam geschlossen hielt. Sie schluchzte hemmungslos und konnte gar nicht mehr aufhören. Chapel versuchte nicht, sie zu beruhigen, sondern ließ sie einfach weinen, bis seine Brust von ihren salzigen Tränen benetzt war.
Ein warmer Tropfen fiel neben ihr Ohr und riss sie für eine Sekunde aus ihrer eigenen Trauer. Es folgte ein weiterer und dann noch einer. Chapel gab keinen Laut von sich, aber sie wusste auch ohne hinzusehen, dass er ebenfalls weinte.
Matilda: Kleider.
Caroline: alle Bücher, bis auf die über die Artussage.
Georgiana: Schmuck und Porzellanfiguren.
Chapel - Pru zögerte, die Schreibfeder kaum einen Zentimeter über dem Papier. Warum fiel ihr dieser Eintrag ungleich schwerer als die anderen? Sie wusste doch, was sie ihm geben wollte. Vielleicht war es schwieriger, weil sie sicher war, dass ihre Schwestern sich über das freuen würden, was sie ihnen hinterließ. Hingegen fühlte es sich bei Chapel an, als hätte sie ihm nichts anderes zu geben, weshalb sie das Einzige wählte, von dem sie dachte, dass es ihm gefallen könnte.
Es war ja nicht so, dass sie ihm tatsächlich ihr Herz vermachen könnte.
Chapel. Bücher über König Artus. Artus war eines der ersten Themen gewesen, über das sie nach Chapels Ankunft in Rosecourt gesprochen hatten. Als ihr die Idee kam, schienen ihr die Bücher ein passendes Geschenk für ihn, aber nun zweifelte sie. Konnten Bücher ihm mitteilen, wie viel er ihr bedeutete? Wenn er sie ansah, in ihnen las, würde er dann wissen, dass sie ihn geliebt hatte?
Während der letzten Tage verbrachte er jede wache Minute mit ihr. Drei Wochen waren seit Dr. Higgins' Besuch vergangen. Manche Nächte waren besser gewesen als andere, und sie war sogar wieder ein bisschen ausgegangen. Sie gingen nie weit - nicht weiter, als Chapel innerhalb von zwanzig oder dreißig Minuten fliegen konnte. Die meiste Zeit jedoch hatten sie einfach nur geredet. Er erzählte ihr viele Geschichten von Orten, die er besucht hatte, und davon, wie das Leben gewesen war, als er jung war.
Und sie erzählte ihm von den glücklichen wie den weniger glücklichen Momenten ihres Lebens, beispielsweise von ihrem ersten Kuss, aber auch vom Tod ihrer Mutter. Er hörte sich alles so aufmerksam an, dass es sie seltsam rührte. Als wollte er sich jedes einzelne Wort einprägen.
Er las ihr Molyneux' Briefe vor, folglich wusste sie, dass der Priester und Marcus den Silberhandorden finden würden. Sie fragte sich, ob sie die beiden Männer wohl vor ihrem Tod wiedersehen würde. Der liebe Marcus war offenbar immer noch auf der Suche nach dem Heiligen Gral für sie - Gott schütze ihn.
Ihre Tage, oder vielmehr ihre Nachmittage, verbrachte sie mit der Familie. Ein paar Freunde aus der Nachbarschaft kamen zu Besuch, als sich herumsprach, dass sie »schwächelte«. Wie es nach draußen drang, wusste Pru nicht. Vielleicht durch die Bediensteten, oder eine ihrer Schwestern hatte es herumerzählt. Aber das war unerheblich. Es störte sie nicht, dass die Leute von ihrem Sterben wussten. Was
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