Unsterbliches Verlangen
wollen Sie mir erzählen, mir drohe Gefahr von Ihnen?« Bei aller Schlagfertigkeit entging ihm nicht, dass ihr Herzschlag sich beschleunigte.
Mit lässiger Ruhe bewegte Chapel sich auf sie zu. Ihr Herz pochte noch schneller, was ihm ein selbstgefälliges Lächeln entlockte. Es war lange, lange her, aber er erinnerte sich noch sehr gut, wie dieses Spiel ging. »Was meinen Sie?«
Auf die unschuldige Frage hin musterte sie ihn, wobei ihr Blick wie eine Flamme auf trockenem Zunder wirkte. Als sie ihm wieder ins Gesicht sah, waren ihre Wangen tiefrot. »Sie machen mir keine Angst.«
Ach denke doch, allerdings nicht so, wie ich es sollte.«
Ihre Augen wurden anscheinend noch größer, als sie ihn anstarrte. Wie er nun feststellte, wurde er ihnen mit »haselnussbraun« nicht gerecht. Vielmehr nahmen sie jedes Mal, wenn er hineinsah, eine andere Grünschattierung an. Ihre Lippen öffneten sich, doch drang kein Ton heraus. Stumm und regungslos wie eine Statue stand sie vor ihm. Einzig die zunehmende Röte ihrer Wangen gemahnte daran, wie voller Leben, wie zart und wie zerbrechlich sie war.
Nun bewegte sich ihr Hals, da sie schluckte und alle Sehnen und Bänder in dem schmalen Körperteil sich anspannten und wieder lockerten. Chapel biss die Zähne zusammen, denn es kribbelte gefährlich in seinem Kiefer. Mit einem Satz könnte er bei ihr sein, sie festhalten und in die süße Kurve zwischen ihrem Hals und ihrer Schulter eintauchen. Sie würde erschaudern und ein wonnig sanftes Stöhnen diesen weichen Lippen entfliehen, während er sich an ihr nährte und ihr fragiles Herz an seiner Brust schlug.
»Gehen Sie nachts häufig herum, Mr. Chapel?«
Ihre samtige Stimme hielt ihn davon ab, seinem Verlangen nachzugeben.
»Chapel«, korrigierte er sie und trat einen Schritt zurück. »Es heißt nur Chapel. Und ja, ich wandere oft nachts herum, Miss Ryland.«
»Pru.« Sie lächelte zaghaft. »Miss Ryland hört sich schrecklich nach alter Jungfer an.«
Was sie damals zu seiner Zeit auch gewesen wäre, dachte er und erschrak sogleich, weil sie so jung schien. Er zuckte mit den Schultern. »Frauen Ihres Standes können es sich leisten, mit dem Heiraten zu warten.«
Sie lüpfte die Brauen. »Warten? Vielleicht wünsche ich einfach nicht zu heiraten.«
Ihre Worte waren pure Provokation, doch ihr Blick strafte sie Lügen. »Vielleicht, Pru, sind Sie noch nicht dem Mann begegnet, der Ihren Vorstellungen von einem Ehemann entspricht.«
Ihr einer Mundwinkel bog sich zu einem ironischen Lächeln. »Das ist durchaus möglich, vermute ich. Was ist mit Ihnen?«
Hier war Vorsicht geboten. »Was ist mit mir?«
Sie machte einen Schritt auf ihn zu. Ihre Arme hoben ihre Brüste gegen den Ausschnitt des Nachthemds und die Stola. Er sah auf die verlockenden bläulichen Linien unter ihrer hellen Haut. Pru bemerkte anscheinend nicht, wohin seine Augen abschweiften. Fürwahr kühn - was sie beide waren. Doch sie begab sich mit ihrer Kühnheit in ernste Gefahr. »Sie sind auch unverheiratet, oder nicht? Warum?«
Er sprach aus, was ihm als Erstes in den Sinn kam: »Keine vernünftige Frau würde mich wollen.«
Seine unerwartete Offenheit ließ sie blinzeln. »Aha. Womöglich sind wir uns ähnlicher, als ich dachte.«
Er lächelte sie freundlich an. Sollte sie ruhig glauben, dass sie sich ähnelten, wenn sie sich dadurch besser fühlte. »Womöglich.«
Ihr Blick wanderte zu den großen Fenstern. Durch das Glas fiel Mondlicht auf ihre Wangen und erhellte ihre Augen, worauf sie noch katzenähnlicher wurden.
»Aber ich wandere nie nachts herum«, sagte sie so leise und wehmütig, dass Chapel zunächst meinte, es sich bloß eingebildet zu haben.
Mit der Grazie und Geschmeidigkeit eines Rehs zog sie sich rasch von ihm zurück. Verblüfft und stockstill stand er da und beobachtete, wie sie floh. Was in Gottes Namen tat sie da?
Sie warf eines der Doppelfenster auf, hielt sich am Rahmen fest und stieg hinauf auf den Sims. Dann drehte sie den Kopf zu ihm, die Augen hell strahlend. Wie wild und frei sie in ihrem losen Nachthemd, mit dem offenen Haar und den geröteten Wangen aussah!
»Kommen Sie mit, Chapel?«
Es wäre klug, sie gehen zu lassen. Aber was, wenn Temple in dieser Gegend war? Was, wenn er halb verhungert war und Pru ihm über den Weg lief? Obwohl er die Nähe seines alten Freundes nicht spüren konnte, bedeutete es nicht, dass er nicht da draußen war.
Dabei war heute Nacht nicht Temple die wahre Gefahr. Das waren seine eigenen
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