Unsterbliches Verlangen
Gedanken und Begierden. Wann war er zum letzten Mal mit einer Frau spazieren gegangen? Er wollte die Dunkelheit mit diesem zerbrechlichen, rätselhaften Wesen teilen.
Pru wartete seine Antwort nicht ab, sondern sprang aus dem Fenster. Fluchend folgte Chapel ihr. Als er das kleine Stück auf die Erde hinuntersprang, wurde ihm schlagartig und beängstigend klar, dass er recht gehabt hatte.
Es war ein Fehler gewesen, nach Cornwall zu kommen.
Kapitel 4
Pru hatte noch nie etwas derart Impulsives oder Unvorsichtiges getan wie aus dem Fenster zu springen. Auch eine Stunde später hätte sie nicht sagen können, was sie dazu gebracht hatte.
Schweigend gingen sie durch das dichte Gras, das an ihren Schuhen raschelte. Prus Hausschuhe waren dünn, aber sie hielten ihre Füße trocken - etwas, woran sie keinen Gedanken verschwendet hätte, bevor die Krankheit ihr Denken zu beherrschen begann. Heute wusste sie, dass eine Erkältung sie Tage kosten würde, und das konnte sie sich nicht leisten. Sie wollte forschen.
»Wie haben Sie erfahren, dass ich nach dem Gral suche?« Diese Frage trieb sie bereits seit dem ersten Schreiben aus dem Vatikan um.
Chapel zuckte mit den breiten Schultern. »Der Vatikan hat überall seine Spione.«
War das ein Scherz? Er sah nicht aus, als würde er scherzen. »Ist das Ihr Ernst?«
Wieder ein Achselzucken, aber nun erkannte sie den Anflug eines Lächelns in seinem Gesicht. Erleichtert atmete sie aus. Er scherzte also doch.
»Ich vermute, es kam durch Ihre Recherche«, erklärte er. »Soweit ich weiß, hat ein Priester mehrere Vorträge von Mr. Grey besucht. Er interessierte sich für dessen Arbeit und hörte in dem Zuge von Ihren Plänen. Sie hatten doch nicht angenommen, dass Sie das geheim halten könnten, oder?«
»Nein, wohl nicht.« Sie sah ein Kaninchen, das unter einen Strauch huschte. In der Dunkelheit war nur der weiße Schwanz zu sehen. »Obwohl es mir schwerfällt, zu glauben, dass die Kirche meine Suche für so wichtig hält, während sie vorherige geflissentlich ignorierte.«
Er sah sie an, und seine Augen wirkten sehr dunkel. »Vielleicht glauben sie, dass diese Suche tatsächlich erfolgreich sein könnte.«
Es mochte seltsam sein, aber seine Worte taten ihr gut.
Sie gingen schweigend weiter. Eine warme sanfte Brise wehte, die Prus Nachthemd um ihre Beine streichen ließ und ihr das Haar leicht verwehte. Chapels dünnes Batisthemd schmiegte sich an seine Brust und seine Arme. Der weiße Stoff leuchtete im Mondschein gespenstisch bläulich, und Chapels Muskeln darunter wirkten kräftiger, als Pru es bei einem Mann der Wissenschaft erwartet hätte. Andererseits war auch Marcus recht athletisch gebaut.
Dennoch reizte Chapel sie auf eine Weise, wie Marcus es nicht tat.
Daran sollte sie jetzt allerdings lieber nicht denken. »Was wissen Sie über den Heiligen Gral?«
Offensichtlich überraschte ihn die Frage, denn für einen kurzen Moment verlangsamte er seine Schritte. »Bei der Kreuzigung schnitt der Römer Longinus Christus mit seiner Lanze in die Seite. Joseph von Arimathea sammelte das Blut in einem Kelch - dem Heiligen Gral.«
Natürlich kannte er den Ursprung des Kelches - kannte den nicht jeder? »Gewiss werden Sie mehr wissen als das.« Sie mühte sich um einen unbeschwerten Ton, empfand aber doch eine gewisse Verärgerung. Wenn sie sich bereit erklärte, die Kirche ihre Forschungsergebnisse einsehen zu lassen, könnten sie es ihrerseits wohl auch tun, oder nicht?
Er warf ihr einen betrübten Blick zu und blieb stehen. Inzwischen waren sie mitten im Garten, im Freien und zugleich vollkommen allein. Unter den Gartenleuchten schimmerte sein Haar golden, seine Augen leuchteten und schienen unendlich tief. Wie Luzifer unmittelbar vor seinem Fall, ging es ihr durch den Kopf. Diesem Mann zu glauben, dass er ein harmloser Diener der Kirche war, wäre ein Fehler. So viel war ihr inzwischen klar.
»Joseph brachte den Gral nach England mit, als er die erste christliche Kirche in Glastonbury gründete. Man nimmt an, dass der Gral nach seinem Tod verloren ging und König Artus ihn erst fast fünfhundert Jahre später wiederfand. Natürlich ist das die Legende, der Sie und Ihr Partner nachgehen.«
Pru öffnete den Mund, um etwas zu entgegnen, doch er kam ihr zuvor: »Es gibt auch Forscher, die glauben, dass der Gral in den Besitz des Templerordens fiel und Papst Clemens V, ihn sich aneignen wollte, als er 1307 die Verhaftung aller Templer forderte. König Philip von
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