Unsterbliches Verlangen
dem kleinen Nachtschrank neben der Liege. Er erkannte ihn sofort.
Diesen Ring hatte Temple von seiner Frau bekommen.
Chapel hob ihn auf und drehte sich zu dem Priester um. »Den hier hätte er nie freiwillig zurückgelassen.«
Molyneux rieb sich mit zitternder Hand die Stirn. »Wer besäße die Kraft, Temple zu entführen?«
Chapel steckte sich den Ring an die rechte Hand. Er passte ihm, und er würde ihn nicht hier zurücklassen, wo er gestohlen werden könnte. Hatte er Temple erst gefunden, konnte er ihn ihm zurückgeben. »Es müssen mehrere gewesen sein, und sie wussten, womit sie es zu tun hatten. Die Frage ist also: Woher wussten sie es?«
»Diese Frage kann ich wohl beantworten.«
Marcus' Ankunft überraschte Chapel nicht, denn er hatte ihn kommen gehört. Seine Bemerkung dagegen kam unerwartet.
Ebenso unerwartet wie der Geruch von Blut und Zorn, der an ihm haftete. Chapel betrachtete den jungen Mann eingehend, als er weiter in den Keller bis in den Lichtkegel der Laterne trat. Etwas war geschehen, das Marcus Grey verändert hatte, denn er wirkte auf einmal weniger wie ein Gelehrter als vielmehr wie ein Krieger.
»Sie wussten es, weil ich es ihnen gesagt habe«, fuhr Marcus fort. »Genau genommen bin ich für das alles hier verantwortlich.«
Eine finstere Wut bemächtigte sich Chapels. Was fiel diesem Burschen ein, sich vor ihm aufzubauen und die Verantwortung für das zu übernehmen, was Pru widerfahren war? Schließlich wusste er doch, was Chapel war.
Er knurrte ihn böse an und fühlte, wie seine animalische Seite sich regte. »Nennen Sie mir einen Grund, warum ich Sie nicht töten sollte.«
Nicht einmal Marcus' Stimme bebte, als er antwortete: »Ich kann nichts in Ordnung bringen, wenn ich tot bin.«
Nein, aber Chapel würde sich eindeutig besser fühlen. »Glauben Sie, dass Sie lebend etwas in Ordnung bringen können?«
Marcus sah ihm trotzig in die Augen. »Ich weiß es nicht, aber ich will es versuchen.«
»Versuchen ist nicht gut genug für Pru«, erwiderte Chapel verbissen und spürte, wie die Reißzähne an seiner Unterlippe kratzten. Ein kräftiger Biss, und Marcus Grey wäre nicht mehr.
Wofür Pru ihn hassen würde.
»Ich habe nie versprochen, sie zu retten. Ich bot ihr lediglich meine Hilfe an, sich selbst zu retten. Alles, was ich ihr zusagte, war, mein Bestes zu versuchen, und um mehr bat sie mich nicht.« Er reckte das Kinn. »Sagen Sie, Mr. Unsterblicher, was haben Sie ihr angeboten? Doch gewiss nicht Ihr Blut, oder?«
»Mon Dieu!«, flüsterte Molyneux, und trotz des Dröhnens in seinen Ohren hörte Chapel ihn.
»Was wissen Sie über mein Blut?« Er wollte doch wohl hoffentlich nicht andeuten, dass Chapel sie verwandeln sollte. Bei Gott, doch, das war's! Hatte er es nicht sogar schon einmal angedeutet?
Marcus zuckte mit den Schultern, als sollte es offensichtlich sein. »Ich habe über Ihresgleichen geforscht, seit ich erstmals die Geschichten über Dreux hörte. Ich weiß, dass Ihr Blut Pru retten würde.«
»Falsch! Es würde ihr Sterben aufhalten, sie jedoch nicht >retten<.« Was für ein Idiot der junge war! Hatte er Pru deshalb in der Nacht in diesen Keller gebracht? Hatte er von der Falle gewusst?
Chapel ging näher auf Marcus zu. Obwohl dieser sich nicht rührte, roch Chapel seine Vorsicht. »Haben Sie sie in der Hoffnung hergebracht, den Blutgral zu finden?«
»Ich brachte sie her, weil sie für sich entscheiden sollte, ob sie den Gral benutzen wollte oder nicht, egal welcher von beiden es wäre.«
Warum erstaunte ihn das überhaupt? »Sogar den Blutgral?«
Marcus nickte. »Ich ging davon aus, dass Sie sie nicht verwandeln würden, sie aber, wenn sie die Wahl hätte, vielleicht entschied, sich selbst zu retten.«
»Sich retten? Haben Sie den Verstand verloren?« Wie kam Grey auf eine solche Idee? »Wenn überhaupt, hätte sie ihre Seele verdammt.«
Grey sah ihn an, als wäre Chapel der Idiot von ihnen beiden. »Wie kommen Sie darauf?«
»Vampire sind eine Dämonenart, mein lieber Junge.«
Wieder zuckte Grey nur mit den Schultern. »Ich ziehe es vor, sie als die Nachkommen von Adams erstem Weib und einem gefallenen Engel zu sehen, aber wenn Sie sie zu Dämonen machen wollen, meinetwegen.«
»Besteht da ein Unterschied? Gefallen ist gefallen, und das waren sowohl Lilith als auch Sammael.«
»Sie wurden beide von Gott geschaffen«, widersprach Marcus. »In die Finsternis zu fallen ändert nichts daran. Selbst Luzifer ist immer noch ein Engel.«
Nun mischte
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