Unsterbliches Verlangen
Stolz hatte sie nichts zu verlieren, wenn sie so offen zu ihm war, und dieses Wissen machte sie noch mutiger.
Sie trat näher auf ihn zu, bis sie die Wärme seines Körpers fühlen konnte. Mr. Stoker hatte sich geirrt. Vampire waren nicht kalt. Vielmehr waren sie sehr warm, sofern Chapel ein typisches Beispiel war. »Kämen Sie auf mich zu, wie Sie es auf Marie taten, würde ich Sie nicht abweisen.«
Chapel wurde kreidebleich. »Sagen Sie das nicht!«
Sie öffnete den Mund, doch er kam ihr zuvor: »Sie fragten mich nach meinen Schwächen.«
»Gift und Sonnenlicht.« Ihre Unterlippe bebte ein wenig. Auch sie hatte sich ihm gegenüber wie ein dummes Weibsstück aufgeführt. »Sie setzten sich beidem aus, um mich zu retten.« Gott, was hätte ihm das Gift antun können? Was tat die Sonne ihm an? Außer Spuren von einem Sonnenbrand auf seinen Wangen und seiner Nase konnte sie nichts sehen. War er schlimm verbrannt worden? Er hatte gesagt, sein Anblick hätte ihr Alpträume bereitet.
»Ich würde alles tun, um Sie zu schützen, und dazu zählt auch, Sie vor mir zu schützen, weil Sie meine Schwäche sind, Pru. Ich werde zweifellos noch bereuen, Ihnen das gestanden zu haben, aber anscheinend kann ich nicht anders.«
Wieder wurde ihr Hals schmerzlich eng. »Was für eine Ironie des Schicksals, nicht wahr? Sie haben alle Zeit der Welt, und meine läuft ab. Anscheinend hat Gott einen recht seltsamen Humor.«
Er lächelte traurig. »Ich bin nicht sicher, ob Er damit etwas zu tun hat.«
Eine Weile sahen sie einander stumm an. Pru konnte nicht benennen, was da zwischen ihnen war, aber es beruhigte sie, und plötzlich war sie sehr froh, dass Chapel in ihr Leben getreten war. Ihn zu kennen spornte sie an, das Beste mit der Zeit zu machen, die ihr noch blieb.
»Es gibt Dinge, die ich gern noch tun würde. Werden Sie mir dabei helfen?«
»Natürlich.«
»Sie sagten, Sie könnten mir Fahren beibringen.«
Er lächelte. »Ja, das sagte ich. Sind Sie bereit zu lernen?«
Pru fühlte sich unbeschwert wie seit Monaten nicht mehr und erwiderte sein Grinsen. »Die Frage ist, ob Sie bereit sind, es mich zu lehren?«
Kapitel 17
Also was können Sie?«
Weil er sicher war, dass ihre Frage einzig gedacht war, um ihn von ihrer unglaublichen Raserei abzulenken, sah Chapel sie nicht an, als er antwortete, sondern achtete lieber weiter auf die schwach beleuchtete Straße vor ihnen.
»Was meinen Sie?« Fuhr sie absichtlich so schnell, oder wusste sie es nicht besser?
Pru blickte zu ihm. Offensichtlich plagten sie keinerlei Bedenken, für kurze Zeit nicht auf die Straße zu sehen. »Ich meine, welche Fähigkeiten haben Sie als Vampir?«
»Augen auf die Straße, bitte!« Er mochte so gut wie unverwundbar sein, sie hingegen war es nicht, ebenso wenig wie alle anderen lebenden Kreaturen in ihrer Nähe. »Sie sollten vielleicht das Tempo drosseln, da vorn hockt ein Kaninchen.«
»Ich sehe keines.« Trotzdem nahm sie Gas weg, womit seine Frage beantwortet war. Sie fuhr eindeutig mit Absicht so schnell.
»Ich vermute, dann ist das eine meiner Fähigkeiten.« Er gestattete sich zu lächeln. Wie exotisch! »Die Fähigkeit, im Dunkeln ein Häschen auf der Straße zu sehen.«
Das brachte sie zum Lachen. Als sie jedoch wenig später an dem Kaninchen vorbeifuhren, hörte er sie die Luft anhalten. Hatte sie ihm nicht geglaubt?
Wie dem auch sei, nun schien sie höchst interessiert. »Was noch?«
Er erzählte ihr von seinem Geruchssinn, seiner Intuition, seinem Gehör und seiner Schnelligkeit. In den Jahrhunderten, die er bereits lebte, hatte er nie jemandem vollständig enthüllt, wozu er fähig war. Pru gegenüber tat er es. Er wollte sie alles über sich wissen lassen, nur leider hatten sie nicht die Zeit, um über sechshundert Jahre Erfahrung zu sprechen. Und selbstverständlich galt es auch als »unnatürliche« Stärke, dass er einem Mann das Genick brechen konnte, wie Sterbliche einen kleinen Zweig durchbrachen.
»Und ich kann fliegen.«
Der Wagen schlingerte, so dass sich ihm der Magen umdrehte. »Was?! Wirklich?«
Warum das nach allem, was er ihr erzählt hatte, so wundersam sein sollte, begriff er nicht. Vielleicht war es das Einzige, was sie sich nicht vorstellen konnte.
»Ja, und tun Sie das bitte nicht wieder!«
Sie fuhr jetzt vorsichtiger und aufmerksamer, sah sogar auf die Straße, nicht zu ihm. »Da muss Ihnen Automobilfahren ja schrecklich langweilig vorkommen.«
»Normalerweise fahre ich sehr gern.«
Sie lachte und
Weitere Kostenlose Bücher