Unsterbliches Verlangen
blickte wieder zu ihm. »Normalerweise?«
»Sagen wir, es ist gut, dass ich mir keine Sorgen machen muss, dabei zu sterben.« Verdammt! Wie herzlos, so etwas gegenüber einer Frau zu äußern, die nicht mehr lange zu leben hatte!
Aber Pru störte sich nicht daran, zumindest nicht sichtlich. Im nächsten Moment jedoch lenkte sie den Daimler an den Straßenrand, und als sie den Motor abstellte, wurde Chapel klar, dass er in Schwierigkeiten steckte. Hier draußen war es still, sehr still und dunkel und einsam.
Nun drehte sie sich auf ihrem Sitz zu ihm. Obwohl er im Dunkeln weit besser sah als sie, machte ihn nervös, wie sie ihm in die Augen blickte.
» Worum sorgen Sie sich?«
Zählte Beißen? Würde sie lachen, wenn sie erfuhr, wie nervös er in ihrer Nähe wurde? » Ich sorge mich, dass der Fluch sich ausbreitet, unter dem ich stehe. Ich sorge mich, dass meine Seele niemals Einlass in den Himmel finden könnte.«
»Sie können nicht jeden vor diesem ...«, sie schwenkte eine Hand durch die Luft, »Fluch, wie Sie es nennen, schützen.«
Ich kann dich schützen! Das sprach er selbstverständlich nicht laut aus. »Ich kann so viele wie möglich schützen.«
Sie dachte darüber nach, während sie ihn weiter ansah. Zuletzt hat er als kleiner Junge den Drang verspürt, sich unter einem solch prüfenden Blick zu winden. Nun überkam er ihn wieder.
»Ist Ihnen je der Gedanke gekommen, dass Sie eine Gabe besitzen könnten?«
Er schnaubte kurz. »Sie klingen wie Molyneux.«
Das war als Beleidigung gemeint, aber sie nahm es nicht als solche. »Pater Molyneux ist ein kluger Mann.«
Er musste lächeln, weil sie sich so ungewöhnlich kurz fasste. »Er ist ein unverbesserlicher Optimist.«
»Während Sie ein Pessimist sind.«
»Ja.«
Sie gestikulierte mit beiden Armen, als wollte sie mit ihnen die ganze Welt umspannen. »All das Leben, das Ihnen gegeben wurde, und Sie betrachten es als Fluch!«
Was war nur mit den Menschen los, dass sie fortwährend den Tod überlisten wollten? »Was ist es denn sonst?«
»Christus wurde Unsterblichkeit geschenkt.«
Der blasphemische Vergleich machte ihn zunächst sprachlos. »Christus hat niemals jemandes Blut getrunken.«
»Nein, aber er bot seinen Jüngern sein eigenes an.«
»Symbolisch - das ist wohl kaum dasselbe.«
»Warum nicht? Weil Sie es sagen?«
Sie weigerte sich einfach, vernünftig zu sein. »Nein, weil mein Blut andere zu Vampiren machen würde, wenn ich es ihnen gäbe.«
»Und das ist schrecklich, weil ...?«
War sie immer noch nicht überzeugt? »Weil wir uns von Menschen nähren.«
»Dann sind Sie alle blutsaugende Schurken? Herzlose Mörder?«
Wieso verdrehte sie ihm die Worte im Mund? »Selbstverständlich nicht.«
» Hmm .«
Sechshundert Jahre, und er begriff nach wie vor nicht, wie eine Frau mit diesem kleinen Laut so viel sagen konnte. »Offensichtlich haben Sie eine andere Theorie, Pru.«
»Vielleicht«, erklärte sie mit einem selbstzufriedenen Gesichtsausdruck, »wurde Ihnen die Unsterblichkeit geschenkt, damit Sie Menschen helfen.«
Herr im Himmel, sie war unbelehrbar! »Vielleicht wurde ich zur Strafe für das Leben, das ich führte, verflucht.«
Sie riss die Arme hoch und seufzte resigniert. »Na schön, Sie sind verflucht. Am besten verbringen Sie gleich noch mal sechshundert Jahre damit, sich in Ihrem Elend zu suhlen.«
Natürlich fiel es ihm schwer, nicht zu lachen, doch er wollte sie nicht noch mehr verärgern, als er es ohnehin schon getan hatte. »Sie sind eine recht impertinente Frau.«
»Und Sie sind ein recht sturköpfiger Mann.« So viel zu >nicht verärgern »Ich bin nicht sturköpfig.« Er sollte ruhig sein, aber irgendetwas trieb ihn an, sich weiter um Kopf und Kragen zu reden. »Ich weiß einfach mehr darüber als Sie.«
»Ah, dann wissen Sie, dass Sie nicht in den Himmel kommen können?«
»Wie sollte ich?«
»Sie sind kein böser Mensch.«
Ihre Überzeugung traf ihn mitten ins Herz. »Ich bin gar kein Mensch. Sie wissen nicht, was ich bin.«
Trotzig reckte sie das Kinn. »Ich weiß, dass Gott Sie in Sein Reich aufnähme.«
»Noch nicht - ich habe noch nicht genug gebüßt.«
»Oh, lieber Gott, erlöse mich!« Sie warf sich mit solchem Schwung gegen die Sitzlehne, dass der ganze Wagen wippte. Wer hätte gedacht, dass diese zarte Person so viel Kraft hatte? »Sie haben nicht genug gebüßt? Die meisten von uns haben gerade einmal ein j ämmerliches Leben
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