Unter allen Beeten ist Ruh
lauschte wieder in das Schweigen ihres Häuschens.
»Lutz?«, rief sie zaghaft, ohne viel Hoffnung, dass seine Stimme ihr antworten würde. »Lutz, bist du das?«
Als die ersehnte Antwort ausblieb, schluchzte Angelika auf. Nachdem Lutz und sie sich letzte Nacht getrennt hatten – nachdem er sie angebrüllt und stehengelassen hatte –, hatte sie noch stundenlang auf ihn gewartet und sich die Zeit mit Cognac verkürzt. Vollkommen fertig war sie irgendwann ins Bett gekrochen und hatte sich in den Schlaf geweint, verzweifelt darauf hoffend, dass Lutz ihr verzeihen möge. Und jetzt heulte sie sich schon wieder die Augen aus.
Plötzlich kam ihr ein Gedanke, der ihre Tränen schlagartig versiegen ließ. Was hätte Lutz ihr zu verzeihen? Er selbst hatte sie zu Herrn X geschickt, um in Erfahrung zu bringen, ob Doras Haus versiegelt worden war. Nach ihrem Inspektionsbesuch war sie sicher gewesen, dass das Haus leer bleiben würde! Sie konnte schließlich nichts dafür, dass diese seltsame Pippa Bolle sich erdreistet hatte, in Dorabellas Haus zu ziehen und Lutz in der Nacht fast erwischt hatte. Es war nicht damit zu rechnen gewesen, dass diese bunte Kuh, die nicht wusste, wie man sich in ihrem Alter zu kleiden hatte, nicht dahin zurückkehrte, wo sie hingehörte. Jetzt waren all die schönen gemeinsamen Pläne erst einmal verpatzt und ihre Stellung als Hauswirtschaftsleiterin der Hanf-Insel in weite Ferne gerückt. Ganz zu schweigen von …
Angelika Christ begann wieder zu weinen.
Sie hatte immer loyal zu Lutz gestanden, auch dann, als alle anderen auf ihn losgegangen waren. Sie mussten sich etwas einfallen lassen, damit sie ihr großes Ziel und ihre Liebe nicht aus den Augen verloren. Und zwar so schnell wie möglich.
Kurz entschlossen sprang sie aus dem Bett, schlüpfte in ein Kleid, schminkte sich in Windeseile die Tränen aus dem Gesicht und lief direkt zu Lutz’ großer Parzelle. Sie drückte mit so viel Schwung die Klinke der Pforte herunter, dass sie ein Stück zurücktaumelte, als das Tor nicht aufging.
»Lutz, mach auf, ich bin es!«, schrie sie. »Mir ist etwas eingefallen, Lutz, mach auf! Ich habe eine Idee! Lutz! Lutz! Bist du da? Lutz!«
Angelikas schrille Stimme hallte über die ganze Insel.
»So viel zum Thema friedlicher Ort«, sagte Luis bissig. »Wenn die noch mal diesen Namen blökt, bring ick frischet Gras. Beim Widerkäuen isse wenichstens jezwungen, de Gosche zu halten.«
»Ich weiß nicht, ich kann sie verstehen. Liebe macht nicht nur blind, sie macht auch blöd.«
Pippa dachte unwillkürlich an ihren eigenen, nahezu unerschöpflichen Vorrat von Entschuldigungen für Leos Verhalten. In einer spontanen Aufwallung von Mitleid ging sie kurz entschlossen zu Angelika hinüber.
»Ist alles in Ordnung mit dir?«
Angelika Christ warf ihren Kopf zurück und funkelte Pippa an. »Nein! Nichts ist in Ordnung! Sehe ich aus, als ob alles in Ordnung wäre? Und wem habe ich das zu verdanken?« Angelika baute sich dicht vor Pippa auf. »Ohne dich wäre Lutz jetzt bei mir, und alles wäre in Ordnung. Von jetzt ab hältst du dich raus, hörst du? Du hast schon genug angerichtet.«
Pippa prallte überrascht zurück. »Ich verstehe nicht. Was soll ich denn gemacht haben?«
»Du hast die Lügengeschichte über Lutz’ Einbruch in Dorabellas Haus in die Welt gesetzt. Das wird ein gerichtliches Nachspiel haben – und ich werde schwören, dass er es nicht gewesen sein kann, weil er bei mir war. Zum ersten Mal und die ganze Nacht.«
Angelika Christ drehte sich auf dem Absatz um und stolzierte hoch erhobenen Hauptes davon. Pippa sah ihr verdutzt hinterher.
»Da hast du aber eine Freundin fürs Leben gefunden«, sagte Karin, die Pippa gefolgt war. Sie hielt einen der Rosensträuße in die Höhe. »Schade, der sollte eigentlich für Angelika sein.«
»Ich hätte mit meiner Geschichte vielleicht wirklich vorsichtiger sein sollen. Immerhin: Jetzt wissen wir, dass Lutz nicht der nächtliche Besucher gewesen sein kann. Troilus war bei seiner Cressida.«
»Unsinn. Sie will Lutz ein Alibi geben. Außerdem braucht sie einen Prügelknaben für ihren Frust über das grässliche Verhalten von Schmutz-Lutz ihr gegenüber.«
»Sie hat sich eben in den falschen Mann verliebt.« Pippa griff sich den Rosenstrauß und schnupperte an den Blüten.
Karin sah ihre Freundin direkt an. »Soll ja öfter vorkommen.«
»Danke, aber die Wunde schmerzt auch, ohne dass du deinen Finger drauflegst.«
»Aha, der Brief. Leo will dich
Weitere Kostenlose Bücher