Unter allen Beeten ist Ruh
deutschen Italienerin gewesen. Sagte er wenigstens. Aber wie kam dann seine Unterschrift unter das Testament? Hatte er ein so großes Tamtam mit seiner angeblichen Anreise am Tag nach Dorabellas Tod veranstaltet, um zu verschleiern, dass …
Pippa hielt den Atem an. Ihr fiel nur ein Grund ein, warum Viktor den wahren Zeitpunkt seiner Anreise verheimlichen wollte: dreißigtausend Euro …
Kapitel 12
D rei Wochentage lang war die Insel fast entvölkert gewesen, und Pippa hatte mit großer Konzentration an der Übersetzung arbeiten können. Jetzt stand das Pfingstwochenende vor der Tür, und die Rieke spuckte bei jedem Anlegen neue Bewohner und Gäste aus.
Um die Ruhe noch ein wenig zu bewahren, zog sich Pippa mit ihrem Laptop auf Dorabellas Wiese am Wasser zurück. Was sie zu tun hatte, war der ungeliebteste und langweiligste Teil ihrer Arbeit: Das fertige Manuskript musste noch einmal sorgfältig gelesen und auf Fehler überprüft werden. Aber mit dem erneuten Betrieb auf Schreberwerder wandte sich Pippas Aufmerksamkeit unweigerlich auch wieder den Problemen der Inselbewohner zu. Wie sollte sie sich auch auf das Gefieder der Haubentaucher konzentrieren, wenn ihr Kopf sich noch immer damit abmühte, alle Informationen und Vorkommnisse der letzten Tage zu sortieren?
Pippa blickte über das gleißende Wasser und verfolgte mit zusammengekniffenen Augen ein paar frühe Segelboote, die fast lautlos an Schreberwerder vorbeiglitten. Die Havel schlug mit kleinen Wellen ans Ufer, und von Viktors Parzelle hörte sie leise das Gackern seiner »Mädchen«.
So ein idyllisches Fleckchen Erde, und so hart umkämpft.
So hart, dass ein Mord begangen worden war? Die Umstände von Doras Tod waren dubios, daran bestand für Pippa kein Zweifel. Mindestens zwei Menschen, die sich Doras Freunde nannten, hatten bezüglich ihres Aufenthaltsortes zum Zeitpunkt von Doras Ableben gelogen: Viktor und Ida Marthaler, die Zeugen, die das letzte Testament unterschrieben hatten.
Pippa seufzte, klappte den Laptop zu und stellte ihn zur Seite. Sie konnte sich nicht mehr auf die Haubentaucher konzentrieren. Sosehr sie sich auch bemühte, es gelang ihr einfach nicht, ganz beim Manuskript zu bleiben. Kurz entschlossen griff sie nach ihrem Klemmbrett mit dem Block für Notizen, die sie sich eigentlich zum Manuskript hatte machen wollen, und skizzierte einen chronologischen Ablauf der Ereignisse, um endlich das gedankliche Chaos in ihrem Kopf in Griff zu bekommen.
Erdmanns Party, 22.30 Uhr , schrieb sie, Dorabella verspricht Nante genug Geld, um Peschmanns Parzelle zu kaufen . Das hatte jede Menge Aufruhr und Gezeter ausgelöst. Lutz war natürlich ausgeflippt und auf Nante losgegangen, aber Nante und Pia hatten einen Handschlag-Vertrag geschlossen. Kurz danach hatte Dora sich verabschiedet, und das war nach Pippas Erinnerung auch der letzte Moment, als alle Insulaner – bis auf die Kinder und Jugendlichen – zusammen an einem Ort waren. 23 Uhr: Alle sind zusammen, kurz danach geht Dora nach Hause. Danach hatte sie nicht mehr darauf geachtet, wer sich wo aufhielt. Sie selbst hatte mit Karin und Gerdi zusammengesessen und begeistert die Ereignisse des Abends durchgehechelt. Als sie die Party gegen Mitternacht verließen, standen Luis, Herr X, Stephan Kästner und Matthias noch an der Bar, wild entschlossen, keinen Tropfen Alkohol übrig zu lassen.
Pippa kaute nachdenklich an ihrem Bleistift.
Das nächste Puzzleteil war Svens Geständnis, dass er in jener Nacht Doras Gewächshaus aufgesucht hatte, um Cannabis zu klauen. Ca. 23.30 Uhr: Sven ist in Doras Gewächshaus. Kurz danach: Sven sieht, wie Ida Marthaler Doras Bungalow verlässt.
Allein? Oder war da noch jemand anderer in Dorabellas Bungalow, der oder die erst später das Haus verließ?
Nicht gerade üppig, diese Informationen. Und erst recht keine exakte Analyse, die sie da ablieferte, stellte Pippa stirnrunzelnd fest.
Am nächsten Morgen wurde Dora tot aufgefunden, zwei Nächte später gab es den Einbruch, bei der Trauerfeier wurde eine DVD abgespielt, die in der Nacht von Doras Tod aufgenommen worden sein musste, und zu guter Letzt präsentierte Lutz ein manipuliertes Testament – und Viktor einen Halbbruder von Lutz, der Doras Parzelle erbte.
Immerhin ergaben sich aus den mageren Informationen eine Menge Fragen, die es schnellstmöglich zu beantworten galt.
1. Wann haben die anderen die Party verlassen?
2. Was hat jeder Einzelne danach gemacht?
3. Wie kommt Viktors Unterschrift
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