Unter allen Beeten ist Ruh
Wie schön wäre es doch, wenn derjenige, der Dora an ihrem letzten Abend geholfen hatte, ebenso handeln würde …
Sie schrak hoch, als ein Schatten auf sie fiel. Zwei Gestalten standen zwischen ihr und der Sonne. Ihre Laune verschlechterte sich schlagartig, als sie Freddy erkannte. Er war in Begleitung eines großen blonden Unbekannten in Zivilkleidung, von dem sie sofort vermutete, dass es ein Kripo-Kollege ihres Bruders war.
Sie setzte sich auf und sagte missmutig: »Da seid ihr also doch noch. Immerhin habt ihr Jochen eine letzte Nacht zu Hause gegönnt. Schade, Freddy, dass du auch dabei sein musst. Schäm dich.«
Sie stand widerwillig auf und wickelte das Handtuch eng um sich.
»Kommt mit ins Haus, ich erzähle euch erst einmal meine Sicht der Dinge. Ihr könnt ihn euch auch später noch holen.«
Ohne eine Antwort abzuwarten oder die Männer eines weiteren Blickes zu würdigen, ging sie vor ihren ungebetenen Besuchern über den Rasen ins Haus.
»Setzt euch«, sagte sie schroff, als die beiden das Haus betraten, und zeigte mit einer wenig einladenden Handbewegung auf zwei Stühle. Sie hatte sich einen Bademantel übergeworfen und saß am Esstisch. »Lasst die anderen wenigstens ausschlafen. Es ist spät geworden gestern. Wir müssen uns wohl auch noch bedanken, dass ihr unsere kleine Feier nicht gesprengt habt.«
Freddy und sein Begleiter nahmen Platz, und Freddy sagte: »Wenn ich vorstellen darf: Pippa Bolle, meine Schwester. Kommissar Schmidt.«
»Wolfgang Schmidt«, fügte der Mann hinzu und lächelte.
»Schmidt? Sollte man als Kommissar nicht anders heißen? Etwas, das die Leute sich merken können?«, stänkerte Pippa. »So wie Columbo oder Barnaby. Oder Wallander. Der arme Jochen hat es wirklich nicht verdient, dass er von einem Kommissar Schmidt …«
»Könntest du mal Pause einlegen?« Freddy sah sie entgeistert an. »Ich habe nicht die geringste Ahnung, wovon du redest. Wenn das komisch sein soll, kann ich nicht mitlachen. Verdacht auf Mord ist eine ernste Sache.«
Pippa schluckte. »Mord? Welcher Mord? Habt ihr Hinweise gefunden, dass Dorabella …?«
Kommissar Schmidt schüttelte den Kopf. »Nicht Frau von Schlittwitz. Felix Maier.«
Pippa wurde eiskalt. Sie sah entsetzt von Schmidt zu Freddy, der zu ihrer Bestürzung bestätigend nickte und sagte: »Er ist in den frühen Morgenstunden … gestorben.«
»Aber ihr habt doch gesagt, dass er überleben wird! Waren seine Verletzungen doch zu schwer? War der Atemstillstand zu lang?«
Freddy und Schmidt wechselten einen Blick. Dann sagte Freddy: »Das dürfen wir dir leider nicht sagen.«
»Außerdem warten wir noch auf das endgültige Ergebnis der Obduktion«, ergänzte Kommissar Schmidt.
»Aber Mord! Wer soll das denn getan haben? Wie? Und warum?«, rief Pippa verzweifelt.
»Das ist es, was wir herauszufinden versuchen«, erklärte Schmidt.
»Und dazu brauchen wir deine Hilfe, Pippa.« Freddy sah sie bittend an. »Wolfgang will sich hier ein bisschen umsehen, undercover, sozusagen. Wir möchten dich bitten, ihn als Freund auszugeben, der dich zu Pfingsten besucht. Damit er unauffällig herausfinden kann, wo sich jeder Einzelne zur Zeit von Felix Maiers Tod aufgehalten hat. Am besten wäre es, du würdest mit ihm eine kleine Tour um die Insel machen und mit allen ins Gespräch kommen. Möglichst harmlos: über Blumen, Ernteergebnisse und Saatzeiten. Über alles – nur nicht über Felix Maier.«
»Wir hoffen, dass wir von allen erfahren, wo sie gestern waren, ohne dass sie Verdacht schöpfen«, ergänzte der Kommissar.
»Ich verstehe: Wer ohne Not lügt, hat etwas zu verbergen«, murmelte Pippa, noch immer völlig betäubt von der Nachricht.
»Und genau das werden wir dann überprüfen.« Kommissar Schmidt nickte.
Pippa war empört. »Wozu alle Insulaner bemühen? Keiner hier hatte ein Interesse an Felix’ Tod – außer Lutz.«
In diesem Moment hörte sie ein Geräusch aus dem geheimen Durchgang zwischen Doras und X’ Bungalow. Freddy und Wolfgang Schmidt wechselten einen verblüfften Blick, während Pippa einen Hustenanfall vortäuschte, um die beiden abzulenken.
Ihre Mühe war vergeblich, denn Schmidt stand leise auf, schlich auf Zehenspitzen zum vermeintlichen Schrank und riss die Tür mit Schwung auf. Seiner Stütze beim Lauschen beraubt, purzelte Herr X polternd aus der Tür ins Zimmer und fiel Schmidt direkt vor die Füße.
Die Augen des Kommissars weiteten sich vor Überraschung. Er ging in die Knie und sah dem vor
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