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Unter allen Beeten ist Ruh

Unter allen Beeten ist Ruh

Titel: Unter allen Beeten ist Ruh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Auerbach , Keller,
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näherten.
    Lutz Erdmann stöhnte innerlich, als Angelika Christ mit beiden Armen seinen Hals umschlang und sich eng an ihn presste.
    »Mir ist nicht wohl dabei, dass du die Insel verlassen willst, Lutz. Die Polizei hat gesagt, dass wir alle bleiben müssen.«
    Er zog eine Grimasse, die Angelika nicht sehen konnte, da ihr Gesicht an seiner Brust lag. Diese verdammte Klette! Er konnte es kaum noch erwarten, sie wieder loszuwerden. Am liebsten hätte er sie gepackt und ins Wasser gestoßen, aber noch musste er sich unbedingt zusammenreißen – was ihm allerdings immer seltener gelang. Er bemühte sich um einen besonders sanften Tonfall, als er sagte: »Liebes, selbst diese kleingeistige Beamtenseele von Kommissar hat begriffen, dass ich als Chef eines florierenden Unternehmens mit Dutzenden Angestellten einen dringenden Termin wahrzunehmen habe. Es geht darum, Arbeitsplätze zu erhalten – nicht zuletzt seinen eigenen. Ich habe keinen Zweifel daran gelassen, wo ich mich im Falle seiner Weigerung über ihn beschweren würde.« Er stieß ein arrogantes Lachen aus. »Befehlsempfänger wie er erkennen einen Alphamann wie mich, wenn sie ihn vor sich haben. Er ist sofort eingeknickt und hat mich nur gebeten, so schnell wie möglich wieder zurückzukommen.«
    Alphamännchen, Pippa kreischte innerlich, du bist nicht mal Epsilon. Niemals hast du mit Schmidt darüber geredet, und ganz sicher nicht in diesem Ton, du Windbeutel. Sie wagte kaum zu atmen, um sich nicht zu verraten.
    Angelika war jedoch von Lutz’ Worten überaus beeindruckt, und ihre Bewunderung für den Mut ihres Verlobten manifestierte sich in einem besonders einfältigen Gesichtsausdruck.
    »Kannst du nicht morgen erst nach Wannsee fahren?«, bettelte Angelika. »Ich wollte heute Brathähnchen machen, das magst du doch so gern.«
    Glaubte diese dumme Pute tatsächlich, ihn mit Brathähnchen auf der Insel halten zu können, wenn er in Berlin alle Genüsse der Welt haben konnte? Und nicht nur die auf dem Teller …
    Seine Stimme klang ungeduldig und scharf, als er antwortete: »Wie oft muss ich dir das noch erklären? Glaubst du, mein Laden läuft von allein? Ich halte meine Mitarbeiter nur an der Kandare, weil sie nie wissen, wann mein nächster Kontrollbesuch stattfindet. Wenn die Katze aus dem Haus ist, tanzen die Mäuse auf den Tischen, das weiß man doch. Aber ich habe scharfe Fangzähne – bei mir tanzt keiner ungestraft.«
    »Dann nimm mich doch mit«, quengelte Angelika weiter, »ich war noch nie dort. Und als deine zukünftige Frau …«
    »Schluss jetzt«, unterbrach Lutz sie brüsk, »ich habe es dir schon hundertmal erklärt …«
    Er verstummte abrupt, als er in den Augenwinkeln eine Bewegung wahrnahm. Etwas Kleines, Buntes, das sich unter dem Steg bewegte. Er sah genauer hin und erkannte die orangefarbenen Strohsandalen, die auf dieser Insel nur eine einzige Person trug: Pippa Bolle. Sofort schaltete er seinen Tonfall um auf Öffentlichkeits-Liebes-Modus.
    »Angelina, Liebes, du brauchst nach diesen schrecklichen Ereignissen unbedingt Ruhe«, sagte er und legte Schmalz in seine Stimme, »ich kann meinen unendlichen Schmerz mit Arbeit betäuben, aber du musst deine Nerven schonen. Ich brauche dich und deine warmherzige Ruhe, um nach meiner Rückkehr wieder aufzutanken.«
    »Ich verstehe«, hauchte Angelika ergriffen, »ich werde auf dich warten, Lutz.«
    »Angelika, ich glaube, dies ist der Beginn einer wunderbaren Beziehung«, sülzte Erdmann unverfroren und ohne mit der Wimper zu zucken.
    Jetzt bemüht Lutz auch noch den berühmten Schlusssatz aus Casablanca , dachte Pippa angeekelt, und nicht einmal korrekt. Aber an einer Freundschaft dürfte Angelika wohl als Allerletztes interessiert sein …
    »Morgen Vormittag bin ich zurück«, fuhr Lutz fort, »versprich mir, dass du dich bis dahin ausruhst, am besten in vertrauter Umgebung bei dir zu Hause, dort wirst du dich am wohlsten fühlen«, baute Erdmann seinen Charakterschwenk zum liebenden Verlobten weiter aus. »Freu dich auf morgen. Da stelle ich dir Frau Julius vor. Sie wird dir erklären, wie sie dein Haus umzubauen gedenkt … und bis wann du ausgezogen sein musst, damit die Arbeiten beginnen können.«
    Mit diesen wenig aufmunternden Sätzen – denn schließlich hatte er sie gerade verbal vor ihre eigene Tür gesetzt – sprang Erdmann in sein Boot und startete den Motor. Mit einem eleganten Schlenker fuhr er dicht am Steg entlang und spritzte Pippa mutwillig nass, als er Gas gab.

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