Unter allen Beeten ist Ruh
die Kranken oft körperlich nicht mehr in der Lage sind, sich ein Mittel zu spritzen, hat dieser Kevorkian Ende der Achtzigerjahre eine Maschine konstruiert, die er zuerst Thanatron und später Mercitron nannte. Diese Maschine ist ein elektromotorbetriebener Injektionsapparat, der per Schalter ausgelöst wird und zuerst ein Beruhigungsmittel und dann Kaliumchlorid injiziert.«
»Hör endlich auf, sonst kann ich heute Nacht nicht schlafen!«, kreischte Lisa und schlug quer über den Tisch nach ihrem Bruder.
»Daniel passt schon auf dich auf.« Sven grinste breit und lehnte sich zufrieden in seinem Stuhl zurück. »Hat jemand noch eine Frage zu Kaliumchlorid?«
Aber niemand am Tisch hatte die geringste Lust, dieses Thema noch weiter zu vertiefen.
Kapitel 23
P ippa sah zum x-ten Mal auf die Küchenuhr und musste lächeln, als sie dabei an »Das krause X« dachte, wie sie Dorabellas Nachbarn jetzt heimlich nannte. Leider änderte dieser Anflug von Fröhlichkeit nichts daran, dass die Zeit bis zum Treffen mit Viktor nicht vergehen wollte. Erst elf Uhr – noch zwei Stunden zu überbrücken. Unglücklicherweise machten die anderen keinerlei Anstalten, ins Bett zu gehen und ihr damit die Möglichkeit zu geben, sich später ungesehen davon zu schleichen. Deshalb hatte sie sich in die kleine Küche zurückgezogen, um das Geschirr zu spülen und die Spuren des Kochens zu beseitigen. Karins Angebot, ihr zu helfen, hatte sie freundlich, aber bestimmt abgelehnt. Je weniger sie in Versuchung geriet zu plaudern, desto besser. Pippa hatte weder Lust, sich an den Spekulationen über Erdmanns jetzige Chancen, sein Hanf-Resort zu verwirklichen, zu beteiligen, noch hatte sie die Einladung der Jugendlichen zu einer Partie Malefiz angenommen. Die fast schon meditative Tätigkeit des Spülens hatte sie mehr beruhigt, als jegliche Unterhaltung es konnte. Jetzt war die Küche blitzblank, und Pippa stand unschlüssig am Fenster und sah hinaus in die Dunkelheit. Dann gab sie sich einen Ruck und ging nach nebenan zu den anderen. Sie gähnte demonstrativ.
»Seid ihr auch so kaputt? Ich fühle mich, als hätte dieser höllische Tag achtundvierzig Stunden gehabt. Diese Gefühlsachterbahn war zu viel für mich. Ich könnte glatt im Stehen einschlafen …«
Zu ihrer Erleichterung verstand Karin den Wink mit dem Zaunpfahl sofort. »Ich kann auch kaum noch aus den Augen gucken. Ab in die Heia, Freunde. Wir brauchen alle Kraft für morgen, wenn die Schmidt-Kamarilla wieder bei uns einfällt.«
»Gestern Abend war eindeutig mehr mit euch los«, murrte Daniel, und die anderen Jugendlichen nickten.
»Gestern war gestern und heute ist heute«, philosophierte Matthias müde, was ihm ein ironisches »Hört, hört!« von Jochen einbrachte.
»Matthias hat recht«, sagte Pia. »Einen Tag wie heute brauche ich kein zweites Mal. In meinem ganzen Leben nicht. Also, ihr vier, ab in Parzelle 1. Und bitte: Licht aus und schlafen. Und wie Viktor sagte: Nichts Verbotenes tun, sonst kriegt ihr den Ärger eures Lebens.«
Während die Jugendlichen murrend abzogen, dachte Pippa an Viktors Ermahnungen. Sie seufzte innerlich. Für Verbotenes, lieber Viktor, dachte sie, scheinen ja wohl wir Erwachsenen zuständig zu sein.
Pippa richtete sich das Schlafsofa her, während es im kleinen Bad wie in einem Taubenschlag zuging. Als Ruhe einkehrte, atmete Pippa auf. Sie ließ den anderen den Vortritt, damit nicht auffiel, dass sie nicht vorhatte, schlafen zu gehen. Komplett angezogen lag sie auf ihrem provisorischen Bett und dachte über das bevorstehende Treffen mit Viktor nach.
Wieder nagten heftige Zweifel an ihr.
Was, wenn seine rührende Geschichte um Sterbehilfe aus Liebe eine faustdicke Lüge war? Wer oder was konnte ihr helfen, zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden? Die Tatsache, dass Viktor der Vater ihrer besten Freundin war? Das war nichts als pure Voreingenommenheit. Natürlich konnte sie sich nicht vorstellen, dass Viktor den armen Felix getötet hatte, denn er war doch eigentlich ein guter Mensch, oder nicht? Das war Dr. Jekyll auch – tagsüber. Pippa schluckte. Eine wenig beruhigende Vorstellung, kurz bevor sie sich mit Viktor treffen musste. Allein und mitten in der Nacht! Nur sehr dumme Frauen in sehr einfallslosen Fernsehkrimis ließen sich vom Mordverdächtigen nach Mitternacht an einsame Orte locken … und der zwangsläufige Tod dieser Damen war dann die Belohnung für jeden intelligenten Zuschauer.
Wenn ich doch nur jemanden hätte, der
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