Unter allen Beeten ist Ruh
Unwillkürlich entfuhr ihr ein Keuchen.
Angelika wurde aufmerksam, und ihr Gesicht versteinerte. »Sie schon wieder? Sie können rauskommen, es gibt nichts mehr zu belauschen!«
Pippa fiel sofort auf, dass Angelika sie siezte, um damit Distanz zu schaffen.
»Müssen Sie sich ständig in das Leben anderer Leute drängen? Haben Sie kein eigenes? Herumschnüffeln und uns nachspionieren, ist das alles, was Sie können?«, ereiferte Angelika Christ sich weiter, ohne Pippa die Gelegenheit zu einer Antwort zu geben. »Wissen Sie, wie armselig das ist? Kein Wunder, dass Ihr Mann Sie nicht mehr will! Aber ich rate Ihnen gut, die Finger von Lutz zu lassen. Sie würden sich nur eine weitere Abfuhr holen, er steht nämlich nicht auf dicke Frauen in der Midlifecrisis, die sich geschmacklos kleiden. Dieses lächerliche rote Haar und diese blasse Haut mögen ja Ihr englisches Erbe sein, auf das Sie womöglich auch noch stolz sind, aber mein Lutz mag stilvolle, braungebrannte Frauen …«
»Meinst du Frauen, die zu lange unter dem Solarium liegen und in meinem Alter wie eine alte Aktentasche aussehen?«, unterbrach Pippa.
»… und deshalb hat Lutz seine Wellness-Oasen eröffnet, um den Frauen Jugend und Schönheit zu schenken«, redete Angelika unbeirrt weiter. »Aber davon verstehen Sie natürlich nichts, Frau Bolle.«
Angelika hatte endlich ihr Pulver verschossen und starrte ihre vermeintliche Nebenbuhlerin aggressiv an.
Pippa hatte sich aufgerappelt und stand nun direkt vor ihrer Angreiferin. »Ich wünsche dir, Angelika, dass du neben deinem ausgeprägten Stilbewusstsein immer genug Verstand hast, die künstliche Sonne rechtzeitig abzuschalten, bevor dein Hirn endgültig verdampft ist.«
Damit drehte sie sich um und gab dem Impuls nach, sich möglichst schnell von Angelika Christ zu entfernen, bevor diese auf die Idee kam, zuzuschlagen.
Außer Atem kam Pippa bei den Wittigs an. Im Garten saßen Karin und Matthias mit den Peschmanns einträchtig beim Wein. Aus dem Haus drangen klappernde Geräusche und die fröhlichen Stimmen der Jugendlichen, die mit viel Getöse das Abendessen vorbereiteten.
»Wo kommst du denn her?«, fragte Karin. »Wir haben dich schon vermisst.«
Empört berichtete Pippa von Angelika Christs verbalen Attacken. »Es macht mir nichts aus, wenn sie der Meinung ist, dass ich eine bunte Kuh mit durchgeknallten Kopfbedeckungen bin, das prallt an mir ab. Aber sie hat mit ihren Anschuldigungen weit unter die Gürtellinie gezielt – und leider getroffen.«
Aber Karin zeigte nicht das erhoffte Mitgefühl. »Hör auf, die beleidigte Leberwurst zu spielen. Es kann dir doch egal sein, was sie von dir hält. Hab lieber Mitleid mit uns. Du bist schließlich in einer wesentlich besseren Position als wir. Wir sind alle des Mordes verdächtig – du hast einfach nur die Midlifecrisis.«
Rasch griff Pippa nach einem Kissen, warf es nach Karin und flachste: »Wer dich zur Freundin hat, braucht keine Feinde mehr, meine Liebe. Da hätte Angelika sich ihren Atem glatt sparen können!«
Bevor die Kissenschlacht ausarten konnte, rief Bonnie zum gedeckten Tisch ins Haus. Mit neun Personen war es eng, aber trotzdem gemütlich.
»Hmm, lecker«, sagte Matthias grinsend, »Nudeln mit heißem Curry-Ketchup und Salat mit Mayonnaise. Wenn das Lagerleben noch lange andauert, sammele ich Schnecken und jage Eichhörnchen, um ein wenig Abwechslung auf den Teller zu bekommen.«
Alle lachten, doch Pia Peschmann konnte sich nicht recht mitfreuen. Ihr Gesicht spiegelte die Strapazen der letzten Tage wider. »Entschuldigt, dass ich so eine langweilige Tischgenossin bin, aber es ginge mir besser, könnten wir wie geplant nach Toulouse aufbrechen. Ich hasse es, dass wir hier festsitzen – wer weiß, wie lange noch.«
Karin nickte. »Das verstehen wir doch, Pia. Es ist sehr schade, dass ihr euren Urlaub jetzt nicht dazu verwenden könnt, in Toulouse heimisch zu werden.«
Lisa warf Daniel einen Blick zu, der deutlich zeigte, dass sie die Meinung ihrer Mutter keineswegs teilte. Dabei fiel Pippa auf, dass Bonnie sich Sven gegenüber eine neue Strategie überlegt hatte: Sie ignorierte ihn komplett – und das gefiel ihm überhaupt nicht. Wie einfach das Leben in ihrem Alter doch ist, dachte Pippa, es scheint ausschließlich aus Ver- und Entlieben zu bestehen, kleinen Spielchen von Annäherung und Flucht.
»Schmidt hat verkündet, dass wir die Insel erst dann verlassen dürfen, wenn alle Untersuchungen abgeschlossen sind«, erklärte
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