Unter allen Beeten ist Ruh
mir einen guten Rat geben, mit dem ich meine Zwickmühle besprechen könnte, dachte sie verzweifelt … und wusste schlagartig, wer diese Person war.
Pippa sprang erleichtert auf und schnappte sich das schnurlose Telefon der Wittigs. Ich werde euch nicht auf dieser Rechnung sitzen lassen, gelobte sie in Gedanken, das ist mir einen Teil des Honorars für die Haubentaucher wert!
Leise verließ sie das Haus und ging hinunter ans Wasser. Im Schein einer Taschenlampe wählte sie die Nummer und wartete auf das typische brrt-brrt, das doppelte Klingeln englischer Telefone. Der Apparat am anderen Ende der Leitung läutete zweimal, und dann hörte sie das vertraute »Hello?« ihrer geliebten Oma.
Vor Erleichterung wurden Pippas Knie weich. »Grandma Will. Wie gut, dass du da bist. Hier ist Pippa! Hast du schon geschlafen?«
»Of course not, Dear«, antwortete Hetty Wilcox und lachte, »du weißt doch, ich leide an … wie sagt ihr auf Deutsch? Senile Bettflucht, right?«
»Right«, bestätigte Pippa und spürte, wie ihre Laune sich hob. »Grandma, ich brauche deinen Rat. Hast du Zeit?«
»Für dich immer, Dear.«
Pippa hörte im Hintergrund ein herrisches Miauen.
»Shut up, Peter Paw«, sagte Grandma Will, »I’m not talking to you, I’m talking to Pippa! Remember, you like her!«
Pippa musste lachen. Peter Paw war der riesige rote Kater ihrer Großmutter, streitsüchtig Artgenossen gegenüber und kampferprobt, was seine zerfransten Ohren und eindrucksvollen Narben sichtbar belegten. Aber auf Hettys Schoß und unter ihren sanften, streichelnden Händen verwandelte sich der ortsbekannte Satansbraten in ein lammfrommes, schnurrendes Kätzchen. Er brachte neun Kilo Lebendgewicht auf die Waage, und Pippa war bei ihren Besuchen in England froh, dass er sie zu mögen schien – oder zumindest ihre Anwesenheit akzeptierte, ohne sie aus dem Haus zu jagen. Eine Übung, die er mit weniger Glücklichen nachhaltig praktizierte. Ihre Großmutter war der festen Überzeugung, dass kein zweites Lebewesen auf der Welt eine so gute Menschenkenntnis hatte wie ihr Kater, und schloss sich seinen Auswahlkriterien stets kritiklos an.
»Denkst du immer noch, Paw versteht alles, was du sagst?«, fragte Pippa amüsiert.
»Das denke ich nicht nur, das weiß ich genau!«, rief Grandma Will gespielt empört. »Und in jeder Sprache. Aber ich bin sicher, deswegen rufst du mich nicht so spät am Abend an. Wo liegt dein Problem? Ich bin ganz Ohr.«
Während Pippa die Situation schilderte, hörte ihre Großmutter aufmerksam zu. Sie gab ein paar bedauernde Laute von sich, als Pippa von Dorabellas Leiden sprach und davon, was Viktor seiner Aussage nach für die Todkranke getan hatte.
»Grandma, was soll ich tun?«, fragte Pippa schließlich. »Wie kann ich Viktor vertrauen? Soll ich mich mit ihm treffen? Oder soll ich der Polizei alles erzählen?«
»Wenn du dich nicht mit ihm treffen willst, tue ich es«, sagte Hetty Wilcox zu Pippas grenzenloser Verblüffung und fügte hinzu: »Listen, Dear. Dieser Mann liebte Dora so sehr, dass er bereit war, ohne sie, dafür aber mit Schuldgefühlen weiterzuleben, ist es nicht so? Er ist sehr couragiert, und ich wäre glücklich über so eine Freundschaft. Sprich mit ihm, hör dir an, was er zu sagen hat, und lass die Polizei aus dem Spiel, Pippa.«
Auf Zehenspitzen brachte Pippa das Telefon zurück ins Haus und verließ es sofort wieder, um – eine halbe Stunde zu früh – zum Treffen mit Viktor zu gehen. Grandma Will hatte sie beruhigt. Dennoch nahm sie sich vor, mit ihm keinesfalls ins Heckenlabyrinth zu gehen, sondern einen weniger abgeschiedenen Ort aufzusuchen. Beruhigung hin – Sicherheit her. Als sie auf die Dorfstraße hinaustrat, sah sie sich suchend um. Bei Herrn X brannte helles Licht¸ also arbeitete er weiter an Dorabellas Grabstein. Alle anderen Parzellen lagen im Dunkeln. Die sternenklare Nacht und der helle Mond spendeten genug Licht, dass sie die wartende Gestalt auf der Dorfplatz-Bank sofort bemerkte.
»Überpünktlich«, sagte Viktor, als sie sich neben ihn setzte.
»Ich konnte nicht schlafen.«
»So neugierig?«, fragte er amüsiert.
Pippa schüttelte den Kopf. »So aufgeregt, Viktor.«
»Dann komm.«
Er stand auf und bot ihr den Arm. Sie hakte sich bei ihm ein, und er ging mit ihr die Dorfstraße entlang bis zu Peschmanns Parzelle. Zu ihrem Erstaunen öffnete er die Pforte und führte sie um das verlassene, dunkle Haus herum zum Picknicktisch am Wasser.
»Hier sind wir
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