Unter allen Beeten ist Ruh
Halbwahrheit und dem Verschweigen dessen, was sie in Wirklichkeit in der Nacht zuvor gemacht hatte, nichts verrenkt zu haben.
Als Pippa frisch geduscht an den Frühstückstisch kam, war der für sie bestimmte Stuhl von Freddy okkupiert, der mit dem für ihn typischen Appetit krachend in ein Brötchen biss.
Er hätte Restaurantkritiker werden sollen, dachte Pippa, dann würde er für seine Verfressenheit bezahlt.
»Da bisch’ du ja endlisch. Isch hab schon mal deine Brötschen probiert. Schind lecker«, nuschelte Freddy. Er trank etwas Kaffee und schluckte, bevor er weitersprach. »Um zwölf ist große Versammlung bei Luis Krawuttke. Für alle Insulaner. Auch für dich. Ich klappere gerade alle Parzellen ab. Kommissar Schmidt hat etwas Wichtiges zu verkünden.«
Pippas Augenbrauen wanderten nach oben. »Wie bei Hercule Poirot? Der große Meisterdetektiv verkündet die Lösung des Falles? Hoffentlich präsentiert er uns den Täter, sonst lohnt es sich ja kaum hinzugehen.«
»Quatsch, wir sollen uns bestimmt einen eindrucksvolleren Nachnamen für ihn ausdenken und dann über den besten abstimmen«, spottete Karin.
»Ich wäre für etwas mit dem Buchstaben A – damit er immer als Erster an den Tatort gerufen wird«, schlug Pippa vor. »Astor, Alabaster, Abramowitsch …«
Karin ließ sich anstecken. »Ich wäre für Auerbach.«
Pippa und sie klatschten sich gackernd ab.
»Und ich gehe zum Lachen in den Keller«, parierte Freddy unerwartet schlagfertig. »Habt ihr zwei ein Komikerduo gegründet, oder was soll das ewige Gefrotzel über Schmidts Namen? Ihr könnt froh sein, dass mein Chef immer wissen will, was in seinem Bezirk vor sich geht und mich deshalb zu Schmidts Truppe abkommandiert hat. Ohne mich würde Schmidt bei euch Inselpiraten noch ganz andere Saiten aufziehen. Ein bisschen verrückt ist ja ganz amüsant, aber man muss es nicht übertreiben.«
»Du warst doch derjenige, der Angst hatte, ich könnte mich hier langweilen«, sagte Pippa.
»Ich wollte dich nur unter Aufsicht haben, denn allein scheinst du alle naselang in Schwierigkeiten zu geraten«, schoss Freddy zurück, »und dafür ist diese Insel offenbar genau der richtige Ort.«
»Komm, du Klugscheißer, ich begleite dich auf deiner Tournee rund um Schreberwerder. Da ich hier deiner Ansicht nach ja nur mit Verrückten zusammen bin, lass mich ein wenig in der leuchtenden Aura deiner Vernunft baden. Ich bin sehr gespannt auf deinen therapeutischen Ansatz im Umgang mit den Insulanern.«
Pippa zog kichernd ihren Bruder am Ärmel von seinem Stuhl hoch und bugsierte ihn zur Tür.
Herr X arbeitete in seinem Garten und kam zum Zaun, als er Pippa und Freddy sah. Während ihr Bruder mit X redete, drehte Pippa sich um und spähte zu Erdmanns Grundstück hinüber. Dort war alles ruhig, aber Lutz’ Boot lag ordentlich vertäut am Landesteg: gerade so, als hätte der Inselcasanova seine nächtliche Begleiterin nach dem heimlichen Schäferstündchen wieder an Land gebracht und wäre anschließend zurückgekehrt. Ein ausgefülltes Programm für eine Nacht. Genug Kondition schien er zu haben, das immerhin musste man ihm lassen …
Auch Ida Marthaler kam sofort an den Zaun, reagierte aber – anders als Herr X – nicht gerade wohlwollend auf Freddys Bitte, sich bei Luis einzufinden.
»Kann ich damit rechnen, übermorgen wieder zur Arbeit gehen zu können?«, fragte sie schmallippig. »Wie Sie wissen, leite ich eine Schule, und morgen ist der letzte Tag der Pfingstferien. Ich habe nicht vor, mich weiter kasernieren zu lassen, ich muss dringend zurück in die Stadt.«
Freddy setzte sein professionelles »Nur-keine-Aufregung«-Lächeln auf. »Ich bin sicher, ab heute Mittag wird der Spuk vorbei sein. Kommissar Schmidt möchte nur noch einmal zu Ihnen allen sprechen. Wenn nichts Unvorhergesehenes passiert, können Sie in zwei Stunden tun und lassen, was Sie wollen.«
Dein Wort in Gottes Gehörgang, dachte Pippa, hütete sich aber, dies laut auszusprechen.
»Nächste Parzelle«, sagte Freddy, als sie weitergingen. »Wer wohnt da?«
»Angelika Christ. Weißt du das immer noch nicht?«
»Ich war noch nicht in jedem Haus«, empörte sich Freddy, »und selbst wenn – glaubst du, ich kann mir jeden Namen merken?«
Sie standen an Angelikas Pforte, doch auf dem Grundstück rührte sich nichts.
»Lass uns reingehen«, entschied Pippa und stieß das Gartentor auf. Sie marschierte auf die Haustür zu und klopfte. Aber erst als Pippa Sturm klingelte, hörten
Weitere Kostenlose Bücher