Unter allen Beeten ist Ruh
wurde. Weder weiß ich, wie, noch von wem. Ich bin doch nur zufällig hier auf Schreberwerder! Ich komme mir vor wie in einem Alptraum und hoffe immer noch darauf, dass ich aufwache und alles vorbei ist.« Pippa machte eine Pause und sah ihn bittend an. »Und wenn noch eine Beruhigungsspritze übrig ist, hätte ich auch gerne eine.«
Schmidt verdrehte die Augen. »Wieder mal jemand, der von nichts weiß. Unschuldslämmer, alle miteinander. Wieso habe ich nur das Gefühl, dass ich hier von Lügnern umzingelt bin?« Er beugte sich über den Tisch zu Pippa. »Sie wollen wissen, was passiert ist, Frau Bolle? Das kann ich Ihnen sagen: Passiert ist, dass heute Mittag mein Urlaub beginnen sollte. Nach unserem Gespräch wollte ich mein Angelzeug schnappen und mit meinem Verein zum alljährlichen Ausflug nach Frankreich aufbrechen. In die himmlische Ruhe der Montagne Noir. Da gibt es viele nette Menschen und eine Verbrechensrate, die so niedrig ist wie meine derzeitige Toleranzschwelle. Es gibt glasklare Seen, viele Bäche und jede Menge Fische: Forellen und Karpfen so groß, wie kein Anglerlatein sie erfinden kann. Genau das, was ich mir als Ausgleich zu meiner Arbeit wünsche. Und was tue ich stattdessen? Ich fische im Trüben und ziehe einen toten Geschäftsmann aus einem Pool, der aussieht, als hätte man Blutwurst darin gekocht.« Er schnaubte wütend und zog ein Stofftaschentuch aus der Jackentasche, mit dem er sich den Schweiß von der Stirn wischte. Dann atmete er tief durch und fügte hinzu: »Erdmann wurde erstochen. Wollen Sie mir jetzt erzählen, was Sie wissen?«
Pippa würgte krampfhaft. »Bitte … bitte keine weiteren Details, Kommissar Schmidt. Ich hatte schon immer zu viel Phantasie. Ich kann mir das viel zu gut vorstellen … Lutz wurde erstochen? Im Pool? Das ist furchtbar …«
Schmidt nickte. Für einen Moment wirkte er, als hätte er Mitleid mit ihr. »Ja. Kein schöner Anblick. Ich wollte nicht so heftig werden, Frau Bolle, aber diese Insel zerrt an meinen Nerven. Drei Todesfälle in zwei Wochen, bei gerade mal zwanzig Bewohnern, das sprengt jede Statistik. Ganz zu schweigen von ungezählten Morddrohungen und diversen zweitrangigen Delikten – und das alles sozusagen unter Aufsicht der Kriminalpolizei. Und was noch schlimmer ist: unter meiner Aufsicht.«
»Achtzehn Bewohner«, verbesserte Pippa Schmidt vorsichtig, »ich wohne nicht hier und Nante auch nicht.«
Schmidt schleuderte ihr einen eiskalten Blick zu, und Pippa ahnte, dass die Schonzeit vorbei war und er sein Mitleid ihr gegenüber bereits bereute.
»Okay, Frau Ich-bin-nur-ganz-zufällig-hier. Kurios, wie viele Leute in unmittelbarer Nähe eines Mordes diesen Namen tragen.« Er lächelte kurz, aber es sah nicht freundlich aus. »Egal, ob als unbeteiligte Beobachterin oder als Hauptverdächtige – Sie erzählen mir jetzt ganz genau, was Sie während der letzten Tage gesehen, gehört und gerochen … und bisher vergessen hatten. Meine Kollegin hier passt ein bisschen auf, dass ich nicht meine Beherrschung verliere und sich die Anzahl der Toten noch weiter erhöht. Haben wir uns verstanden?«
Augen zu und durch, dachte Pippa ergeben. »Dann fange ich am besten mit meiner Ankunft hier auf Schreberwerder an …«, begann sie ihre Aussage. Sie gab ihnen einen groben Abriss der letzten zwei Wochen, ließ aber ihr Wissen um Doras Tod und Viktors Verbindung dazu unerwähnt.
Schmidt unterbrach sie nicht, sondern machte sich ebenso wie seine Kollegin viele Notizen.
»… und dann habe ich gestern Abend gehört, dass Lutz Angelika versprach, ihr heute die Architektin, Frau Julius, vorzustellen und mit ihr die geplanten baulichen Veränderungen ihrer Parzelle zu besprechen«, beendete Pippa ihren Monolog und legte eine Verlegenheitspause ein, »… allerdings hat er die erwähnte Dame dann bereits spät in der Nacht für … andere Zwecke auf die Insel geholt.«
»Kann ich das genauer haben?«, fragte Schmidt.
»Sie haben sich geküsst und wirkten sehr vertraut. Für mich sah es so aus, als ob Herr Erdmann und Frau Julius ein heimliches Verhältnis haben. Immerhin ist er mit Frau Christ verlobt.«
Schmidt sah sie aufmerksam an. »Wann genau war das?«
»Ungefähr halb drei heute Morgen.«
Der Kommissar runzelte die Stirn. »Was haben Sie so spät da draußen gemacht?«
Pippa bemühte sich, ein unschuldiges Gesicht zu machen. »Wenn ich nicht schlafen kann, zähle ich weder Schafe, noch greife ich zu einem Buch. Ich gehe spazieren.«
Pippa
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