Unter allen Beeten ist Ruh
gern hier übernachten«, warf Karin ein, »auf ein Feldbett mehr oder weniger kommt es jetzt nicht mehr an.«
»Kommst du mit, Karin? Und du auch, Pippa?«, fragte Ida. »Dann schaffen wir es vielleicht, sie zu überzeugen.«
Emil hatte draußen die letzten Gesprächsfetzen mitbekommen, kam eifrig angerannt und ergriff Pippas Hand. »Tante Pippa, schläfst du dann heute bei uns? Du musst das Kistenbuch noch zu Ende vorlesen!«
Pippa lächelte den Knirps liebevoll an. »Frag aber erst deine Eltern, ja?«
Emil flitzte strahlend zu seiner Mutter, und Pippa seufzte. »Sieht aus, als hätte ich eine ernsthafte Chance, als kleinster Nomadenstamm der Welt ins Guinnessbuch der Rekorde zu kommen.«
Heinz Marthaler wirkte erleichtert, als er ihnen bei Angelika Christ die Tür öffnete. »Endlich«, flüsterte er, »kommt rein.« Als er sprach, wehte ihnen eine deutliche Alkoholfahne entgegen.
Pippa sah sich neugierig um.
Die Einrichtung entsprach eher der eines älteren Ehepaares als der einer Frau Anfang dreißig: Dunkle, altmodische Möbel verbreiteten eine düstere Atmosphäre, die durch zahllose gehäkelte Deckchen und verstaubte Kunstblumen-Gestecke auf Beistelltischchen eher gesteigert als gemildert wurde. Nippes aus Porzellan und Ölgemälde aus dem Kaufhaus verstärkten diesen Eindruck. Eine mit grünem Kunstleder bezogene Eckbank, zwei einfache Stühle und ein Holztisch mit zerkratzter Oberfläche bildeten den Essbereich. Die mittelbraune Küchenzeile hatte vermutlich in den Siebzigern das Licht der Welt erblickt, selbst das Geschirr mit dem unmodernen Blumenmuster, das sich ungespült auf der Arbeitsfläche stapelte, war mindestens dreißig Jahre alt und an vielen Stellen angeschlagen.
Auf dem niedrigen Couchtisch standen zwei Gläser, zwei leere Flaschen Tonic Water und eine halbvolle Flasche Gin, die Heinz’ Fahne hinlänglich erklärte.
»Das ist es also, was Heinz unter Trost versteht«, flüsterte Karin Pippa zu, »aber immerhin hat Angelika ihn als Aufpasser akzeptiert. Eigentlich kein Wunder, schließlich war er der Einzige, der an Lutz verkaufen wollte.«
Die Tür zum Bad öffnete sich, und Angelika kam heraus. Ihre einzige Reaktion auf die Neuankömmlinge war, dass sie wortlos drei Gläser aus dem Küchenschrank holte und auf den Couchtisch stellte.
Wie ein ferngesteuerter Roboter, dachte Pippa, Alkohol gepaart mit Beruhigungsmittel, schätze ich. Keine gesunde Mischung – aber immerhin tobt sie nicht mehr.
Angelika machte eine fahrige einladende Geste, und alle setzten sich. Karin übernahm es, Gin Tonics zu mixen. Das Gluckern der Flüssigkeiten war das einzige Geräusch, das die unbehagliche Stille durchbrach. Heinz brummte und schob Karin sein Glas zu, um so darauf hinzuweisen, dass halb voll für ihn nicht voll genug war.
»Du kannst jetzt gerne gehen«, sagte Ida schmallippig und stellte die Ginflasche demonstrativ außer Reichweite, aber Heinz reagierte nicht.
Wieder versanken alle in Schweigen. Pippa, sonst nicht auf den Mund gefallen, suchte vergeblich nach einem Thema für ein unverfängliches Gespräch. Sie warf Karin einen hilfesuchenden Blick zu, aber diese deutete nur ein Schulterzucken an und hielt sich an ihrem Glas fest. Eine laut tickende Kuckucksuhr war der einzige Beweis dafür, dass die Zeit nicht stillstand.
»Ich habe meinen Vater angerufen«, sagte Angelika so plötzlich, dass alle leicht zusammenzuckten.
»Schdimmt«, nuschelte Heinz Marthaler und erntete dafür einen erbosten Blick seiner Frau.
Seine Bemerkung schien Angelika aus dem Konzept gebracht zu haben, denn sie war wieder verstummt, also fragte Pippa sanft: »Und was hat dein Vater gesagt?«
»Er ist erschüttert. Er mochte Lutz so gerne«, sagte Angelika langsam und verträumt. »Mein Vater kann nicht fassen, dass sein alter Freund Luis ein Mörder ist. Aber ich habe ihm versichert, dass an seiner Schuld kein Zweifel besteht. Leider. Die Polizei hat Herrn Krawuttke gleich mitgenommen, habe ich ihm gesagt. Die Beweise sind erdrückend.« Sie nickte und wiederholte: »Erdrückend.«
Pippa und Karin wechselten einen Blick, in dem ihr ganzes Unbehagen lag.
Dann sagte Karin vorsichtig: »Luis ist nur in Untersuchungshaft, Angelika. Es kann immerhin sein, dass …«
Angelika fuhr hoch. »Dass was?«, fragte sie lauernd. »Dass er ungeschoren davonkommt? Das wollen wir doch nicht hoffen.« Sie leerte ihr Glas mit einem Zug. »Mein Vater sagt, er hat kommen sehen, dass Luis irgendwann wieder die Beherrschung
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