Unter aller Sau
sachdienliche Hinweise der Polizeidienststelle Niedernussdorf zu melden. Schon als Gisela die Dienststelle aufsperrte, klingelte das Telefon.
»Polizeidienststelle Niedernussdorf, Wegmeyer am Apparat.«
»Das ist die Emma, die in der Zeitung, die arbeitet in Plattling bei der Bahn, am Kiosk, der, der gleich am Haupteingang ist, da verkaufen die den ganzen Schnickschnack, den man so braucht oder auch nicht braucht, ich brauch das ja nicht, weil wenn ich wegfahr, dann hab ich alles vorher dabei und nicht erst, wenn ich schon am Bahnhof bin, ich mein, ich weiß doch vorher, wann ich fahr, da kann ich doch alles besorgen, oder etwa nicht, ich versteh das nicht …«
Die aufgeregte Frauenstimme holte Luft, und Gisela grätschte in die Atempause hinein.
»Darf ich Ihren Namen wissen, damit ich Ihre Aussage ordnungsgemäß protokollieren kann?«
»Meinen Namen, ich weiß nicht, das macht mich doch gleich zum Opfer, wenn der Mörder das rausfindet, dann bin ich die Nächste, die im Wald liegt, und dann drucken Sie mein Gesicht auch in der Zeitung ab, und ich bin schon lebendig nicht so fotogen, ich lass mich ja überhaupt ungern fotografieren.«
Schorsch dackelte herein, nickte grüßend. Gisela nickte zurück, hielt eine Hand über die Sprechmuschel. »Magst du das schnell übernehmen, du musst nur ihre Personalien aufnehmen, mehr nicht.« Sie reichte dem verdutzten Schorsch den Hörer, verschwand nach hinten in ihr Büro. Schorsch drückte den Hörer ans Ohr, setzte an, sich mit seinem Namen zu melden, und fühlte sich unversehens von einer Dampflok gerammt. »… mein erster Mann hat immer gesagt, Lulu, wenn du auf einem Foto bist, dann schaut immer jeder auf dich, selbst wenn das ein Gruppenfoto ist, er hat aber nie gesagt, ob das ein Kompliment ist oder nicht, da war er ganz schwer zu durchschauen, der hatte so einen ganz eigenen Humor, aber ganz eigen, weil der war ja nicht von hier, der war ja von oben, also fast aus Hamburg, ein paar Kilometer davor, da gibt’s so ein Nest, Buxtehude, das klingt doch schon so, als müsste man da Humor haben, finden Sie nicht?« Schorsch öffnete den Mund, um nach den Personalien zu fragen. Keine Chance. Die nächste halbe Stunde ließ Schorsch der traurigen Lebensgeschichte ersten Teil über sich ergehen. Am Ende verabschiedete sich die nach wie vor Namenlose schweren Herzens, aber ihr Akku piepe leider aufdringlich und kündige sein baldiges Ende an. Schorsch wünschte sich, er hätte auch nur piepen müssen, um das Gespräch zu beenden. Erleichtert legte er auf, Schweiß rann ihm die Schläfen hinab.
In der Zwischenzeit hatte Gisela drei Telefongespräche mit Aussagen zur Identität der Toten aufgenommen. Das Telefon klingelte erneut, und Schorschs Herz machte einen kurzen Hüpfer. Er linste zu Gisela, die in ihrem Büro vor dem Computer saß und die E-Mails checkte. Sie machte eine auffordernde Geste, und Schorsch griff sich den Hörer.
»Polizeiobermeister Georg Kra…«
»Ich bin’s noch mal, ich ruf jetzt vom Handy aus an, aber da müssen Sie sich keine Sorgen machen, ich hab eine Flatrate ins Festnetz …«
Schorsch seufzte ergeben und lehnte sich in seinen Bürostuhl zurück, während die Frau am anderen Ende der Leitung von den Vorzügen einer Flatrate schwärmte.
Erwin und Richie kamen mit dem zweiten Frühstück herein, der eine verteilte die Butterbrezen, der andere schmiss die Kaffeemaschine an und schüttete sich eine Packung Aspirin Granulat aus der hohlen Hand in den Mund, um den Kopfschmerz zu vertreiben. Richie war es ein Rätsel, wieso er manchmal nach fünf Weißbier und drei Schnaps einen Brummschädel bekam und dann wieder die doppelte Menge trinken konnte, ohne jegliche Folgen. Das Leben war ein Mysterium. Und würde auf ewig eines bleiben, das wusste er. Trotzdem fragte er sich ständig, warum alles so war, wie es war. Im tiefsten Inneren seines Herzens war das auch die große Frage, die ihn Polizist hatte werden lassen. Die Suche nach einer Antwort auf die Frage »Warum?«.
Warum Schorsch während seines Telefonats so schief schaute und die Butterbreze grimmig hochhielt, das interessierte Richie wiederum überhaupt nicht. Schorsch strebte nach Perfektion im Leben, und wahrscheinlich war ihm die Form der Breze nicht harmonisch genug.
Das war es aber nicht, was Schorsch erboste, es war das viele Salz, das wie mit dem Hammer in den Teig gedroschen schien und sich nicht abreiben ließ. Tausendmal hatte Schorsch seinen Kollegen erklärt, dass
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