Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unter aller Sau

Unter aller Sau

Titel: Unter aller Sau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Limmer
Vom Netzwerk:
über seine Kindheit erzählen. Richie gab sich redlich Mühe, Bilder aus längst vergangenen Tagen hervorzurufen. Das erforderte so viel Konzentration, dass er gar nicht bemerkte, wie geistesabwesend Ionela war. Sie hörte Richie nur mit einem Ohr zu, ihre Gedanken kreisten ständig um den Namen Tomanovici.
     
    Ionel Tomanovici war ein hochgewachsener Dreißigjähriger mit dichtem schwarzem Haar, das ihm immer wieder in die Augen fiel, so dass er die Strähnen mit einer lässigen Handbewegung aus dem Gesicht streifen musste. Seine hohen Wangenknochen gaben ihm einen Hauch von Adel, gepaart mit einer Prise Abenteuerlust, die von seinem wilden Blick, hauptsächlich aber von der langen Narbe an seinem Hals herrührte. Auch wenn ein ständiger Dreitagebart sie zum Teil verdeckte, der leicht erhabene Streifen zog sich wie ein heller Pinselstrich vom linken Ohr zum Kehlkopf hinab.
    Ionel war stolz auf dieses Erinnerungsmal aus seiner Jugendzeit. Drei Jungs hatten ihn damals angegriffen, weil er einem von ihnen die Freundin ausgespannt hatte. Einer der Angreifer hatte mit einem Schnappmesser versucht, ihm die Kehle durchzuschneiden. Ionel war unbewaffnet, doch zum Glück hatte sein Vater ihm gezeigt, wie man sich in einem Straßenkampf zu verhalten hatte. Er hatte ihm Schläge, Tritte und Tricks beigebracht, die Ionel bis heute beherrschte. Vor allem hatte er ihm eingebleut, kein Mitleid mit dem Gegner zu haben. Er sollte in sich das Raubtier spüren, das Fleisch für die Herde schlug. Wer nachdachte und menschlich reagierte, würde leichte Beute sein und sterben. Ionel wollte keine Beute sein, weder damals noch heute. Nachdem er seinem Angreifer das Messer entwunden und wild um sich gestochen hatte, waren die drei Jungs geflohen. Die berauschende Wirkung des Adrenalins in seinem Blut hatte Ionel nie vergessen. Das Schnappmesser erinnerte ihn täglich daran, denn er trug es ständig in einer speziellen Vorrichtung an der Innenseite seines rechten Stiefels. Maßgeschneiderte Stiefel, so wie auch seine Anzüge maßgeschneidert waren. Eine goldene Armbanduhr und ein Edelsportwagen taten ihr Übriges, das Raubtier hinter den Statussymbolen der zivilisierten Gesellschaft zu verstecken. Nur in seinen schwarzen Augen konnte man das mitleidlose Tier noch erkennen, wenn das Adrenalin wieder durch seinen Körper jagte.
    In Grünharding war er bekannt und angesehen. Man wusste, dass er und sein Vater eine Schönheitsfarm betrieben, von der manche munkelten, es sei ein Puff. Genaues wusste man jedoch nicht, und solange der Dorffrieden nicht gestört wurde, war es den Grünhardingern egal. Viel wichtiger war, dass die Tomanovicis Geld in die Kasse spülten. Der Bau der Schönheitsfarm und die Renovierung des Bauernhofes hatten den lokalen Handwerksbetrieben monatelang lukrative Aufträge verschafft. Auch die einzige Wirtschaft im Ort konnte sich nicht beschweren, denn Vater und Sohn kamen so gut wie jeden Abend zum Essen, und nicht selten schmissen die beiden eine Lokalrunde, was zu guter Letzt einen anständigen dreistelligen Betrag ausmachte. Da sah man gerne drüber hinweg, dass die beiden Fremde waren und sich oft in ihrer Landessprache unterhielten.
    Auch an diesem Abend saßen Vlad und Ionel bei einem deftigen Schweinebraten mit Kartoffelknödeln zusammen und unterhielten sich auf Rumänisch über die neuen Mädchen, die demnächst von einem Schlepper ins Paradies gebracht werden sollten. Um sie herum hockten ältere Männer beim Schafkopf, der Stammtisch war am Diskutieren über die politische Führung Bayerns, an einem länglichen Tisch schnapselten der Trainer und die Spieler der Altherrenmannschaft und besprachen die Taktik für das kommende Spitzenspiel.
    Es waren nur zwei Frauen anwesend. Die eine war Rosi, die korpulente Bedienung mit der Warze auf der Nase, die auf jede Zote der Mannsbilder mit einem dummen Spruch antwortete, der die Gaststube bisweilen mit brüllendem Gelächter erfüllte.
    Die zweite Frau saß still in einer Ecke, nippte ab und zu an einem großen Glas Mineralwasser und las in einem Buch. Ihr Blick galt aber weniger den Buchstaben als den Tomanovicis. Ionela hatte Jakob vor einer Stunde zu Bett gebracht und war dann mit Giselas Mofa sofort zu dem Bauernhof im Paradies gedüst, um einen Blick auf Vlad und Ionel zu werfen. Sie wollte wissen, wie die Männer aussahen, die möglicherweise ihre Schwester auf dem Gewissen hatten. Kurz nach Sonnenuntergang waren Vater und Sohn aus dem Haus gekommen, in Ionels

Weitere Kostenlose Bücher