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Unter aller Sau

Unter aller Sau

Titel: Unter aller Sau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Limmer
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darauf auf seinen Brustkorb, »sondern da.«
    »Oder zwickt’s da?« Schorsch deutete auf seinen Schritt.
    »Depp«, knurrte Richie und verabschiedete sich mit dem Mittelfinger. Schorsch und Erwin kicherten.
    Gisela wollte gerade losfahren, als Richie auf sie zustürmte.
    »Tät’s dir was ausmachen, wenn ich mitkäm?«, sagte er.
    Gisela schaute auf ihre Armbanduhr.
    »Ich arbeit dafür morgen länger«, fügte er schnell hinzu. »Ich … ich wollt nur mal schauen, wie’s der Ionela geht.«
    »Der geht’s gut«, sagte Gisela.
    »Aha.« Richie senkte den Blick, kratzte sich verlegen am Kopf. Gisela lächelte.
    »Gibt aber noch nix zum Essen«, sagte sie. »Steig auf.«
    Richie kletterte auf den Gepäckträger des Mofas, und zwanzig Minuten später bogen sie auf den Wegmeyerhof ein. Das Erste, was sie sahen, war Jakob, der mit der Axt auf ein totes Huhn einschlug. Überall um ihn herum lagen zerstückelte Hühner auf dem blutdurchtränkten Erdboden. Von Jakobs Händen und Unterarmen tropfte es rot.
    Gisela und Richie sprangen vom Mofa.
    »Papa«, rief Gisela. Jakob reagierte nicht, er hackte dem Huhn das rechte Bein ab, holte aus, um sich das linke Bein vorzunehmen. Gisela fiel ihm in den Arm.
    »Papa.«
    Jakob blitzte sie verärgert an, wollte seinen Arm aus Gisela Griff befreien. Richie eilte ins Haus, rief nach Ionela.
    »Hau ab, sonst scheppert’s!«, wetterte Jakob.
    Gisela hielt sein Handgelenk fest umklammert.
    »Papa, bitte, hör auf. Leg die Axt weg.«
    Eine deftige Ohrfeige brachte Gisela kurz ins Wanken. Sie ließ Jakobs Handgelenk los. Der Alte hob drohend die Axt.
    »Lang mich noch einmal an, dann hau ich dir die da in den Schädel.«
    Gisela ergriff eine kalte Angst vor diesem wütenden, alten Mann, in dem sie ihren Vater kaum wiedererkannte. Sie machte einen unsicheren Schritt zurück. Noch einen und noch einen. Schließlich ließ Jakob die Axt sinken und widmete sich wieder dem Huhn, dessen Flügel als Nächstes dran glauben mussten.
    Im Gästezimmer traf Gisela auf Ionela und Richie. Richie kniete neben dem Bett, in dem Ionela lag. Er legte schnell den Zeigefinger an die Lippen, bedeutete Gisela, leise zu sein. Sie blieb nur kurz in der Tür stehen. Hämmerte dann an das Türblatt, dass es schepperte. Ionela fuhr aus dem Schlaf hoch. Richie schoss einen bösen Blick auf Gisela ab. Die ließ das kalt.
    »Was zum Teufel machen Sie da?«, herrschte sie Ionela an.
    »Ich … ich hab mich nur kurz hingelegt«, stammelte Ionela erschrocken. »Was … was ist denn?«
    »Nix ist«, beruhigte Richie sie, legte besänftigend seine Hand auf ihren nackten Unterarm.
    »Von wegen nix«, schnauzte Gisela. »Schauen Sie mal da raus.« Sie deutete mit einer herrischen Geste zum Fenster. »Was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht, meinen Vater allein zu lassen?«
    Ionelas Hand fuhr hoch zum Mund, als sie die blutige Sauerei im Hof sah. Sie wirbelte herum.
    »Ich … ich kümmere mich drum.« Sie hastete an Gisela vorbei aus dem Zimmer.
    »Das hat jetzt sein müssen, oder?«, fauchte Richie.
    »Komm mir du bloß blöd, dann kannst gleich abhauen.«
    Richie verkniff sich ein weiteres Wort und folgte Ionela. Kaum war er draußen, verließ Gisela jegliche Kraft. Sie hockte sich auf die Bettkante und betrachtete die blutbefleckten Hände, als wären es nicht ihre eigenen. Ihr ganzer Körper fühlte sich fremd an, das Zimmer, das Haus, die Geräusche, nichts schien irgendeine Verbindung zu ihr und ihrem Leben zu haben. Es war, als hätte der alte Mann mit seiner Axt alle Gefühle und Bindungen durchtrennt.
    Der nächste Gedanke nistete sich wie ein ungebetener Gast in ihrem Kopf ein.
    Entweder er oder ich.
    Giselas Herzschlag beschleunigte sich.
    Entweder er geht oder ich.
    Ihr Mund wurde trocken, sie konnte nicht schlucken. Sie musste eine Entscheidung treffen.
     
    Doktor Rothaler verabreichte Jakob eine Beruhigungsspritze, und zehn Minuten später war der Alte eingeschlafen.
    »Können Sie mir sagen, ob das normal ist?«, fragte Gisela.
    »Keiner weiß, was bei dieser Krankheit normal ist«, erwiderte Doktor Rothaler.
    »Ich mein, war das ein Aussetzer, oder wird das wieder?«
    Doktor Rothalers Blick war direkt und offen.
    »Es wird nicht mehr, Frau Wegmeyer, so viel kann ich sagen.«
    Gisela schaute bedrückt an dem Doktor vorbei an die Wand. Dort hing ein kleiner Rahmen mit einem Foto, das ihre verstorbene Mutter vor dem Hof zeigte.
    »Ich … ich hab vergessen, diese Pfefferminzbonbons nachzubestellen.

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