Unter aller Sau
gegenüber. Sie blieb auf dem Treppenabsatz stehen, so dass sie eine leicht erhöhte Position gegenüber dem Rumänen hatte. Der wirkte wie aus dem Ei gepellt. Dunkler Anzug, Lackschuhe, gegelte Haare, in denen sich die Morgensonne spiegelte.
»Haben Sie sich für mich so zurechtgemacht?« Gisela verschränkte die Arme vor der Brust.
Vlad lächelte, schaute sich um, als wollte er sehen, wer noch auf dem Hof war.
»Ich fahre zum Gefängnis. Ich habe gestern Abend erfahren, dass Ionel wegen Mordes angeklagt werden soll.« Er kniff, von der Sonne geblendet, sein Auge zu, als er Gisela ansah. »Und danach gehe ich zum Gottesdienst, um für Sie und Ihre Familie zu beten.«
»Beten Sie lieber für Ihren Sohn, der kann’s brauchen.« Giselas Stimme bebte leicht. Die Luft auf dem Hof war mit einer Spannung aufgeladen, die ihr den Atem raubte.
»Ionel braucht keine Gebete, nur einen guten Anwalt. Er wird die Aussage dieser kleinen Nutte zerpflücken und wertlos machen.« Er setzte einen Fuß auf die unterste Stufe der dreistufigen Steintreppe. »Aber Sie, Sie haben Gottes Beistand dringend nötig. Sollten wir uns nicht einig werden.«
»Sie wollen über Ihren Sohn verhandeln?«
Vlad breitete beide Arme aus, als wollte er Gisela herzlich an seine breite Brust drücken.
»Natürlich. Ich bin Geschäftsmann.«
»Und ich bin Polizistin.« Gisela legte so viel Kälte in ihre Stimme, wie ihr trotz des flauen Gefühls im Magen möglich war.
»Das heißt, Sie wollen nicht verhandeln?«
»Genau das heißt es.«
Vlad schaute Gisela mit unbewegter Miene an. Plötzlich glitt sein Blick an ihrer Schulter vorbei, und sein Mund verzog sich zu einem spöttischen Lächeln. Gisela drehte ihren Kopf. Hinter ihr stand Jakob. Er trug nur Unterwäsche, in der Hand eine Axt. Die Axt, mit der er die Hühner zerteilt hatte. Seine Haare standen vom Schlafen wirr vom Kopf ab, seine Augen waren auf Vlad gerichtet. Gisela hatte diese Augen schon lange nicht mehr so klar wie jetzt erlebt.
»Sie haben Ionela umgebracht.« Jakobs Stimme war leise und deutlich.
Vlad zog die Augenbrauen hoch.
»Ich? Wer sagt das denn?«
»Der Schorsch.« Vlad nickte, als wüsste er, wer Schorsch war. Er schob seine Unterlippe vor.
»Na ja, wenn der Schorsch das sagt«, erwiderte er gedehnt. Er deutete auf die Axt. »Sie wollen damit aber jetzt nicht auf mich losgehen, oder?« Er sah Gisela an. »Das wäre dann wohl versuchter Mord. Was steht darauf? Lebenslang? Im Fall Ihres Vaters wäre das so gut wie ein Todesurteil.«
Gisela wollte antworten, Vlad solle endlich von ihrem Grundstück verschwinden, als Jakob an ihr vorbeistürmte und sich mit erhobener Axt auf Vlad stürzte. Der war mindestens genauso überrascht wie sie. Der erste Hieb traf Vlad am schützend hochgerissenen Unterarm. Das dumpfe Geräusch und Vlads Schmerzensschrei rissen Gisela aus ihrer Erstarrung. Sie sprang die Stufen hinunter, fiel Jakob in den Arm, bevor der nächste Schlag auf Vlads Kopf landen konnte.
»Papa!« Sie brüllte in Panik und Entsetzen. Mit beiden Händen packte sie die Axt, riss sie Jakob aus der Hand. »Spinnst du komplett!« Sie drängte Jakob mit ganzem Körpereinsatz von Vlad fort. Der hielt sich den Unterarm, sein Oberkörper war nach vorne gekrümmt, seine Atmung ging gepresst.
»Soll ich einen Arzt rufen?«
Vlad nahm die Hand von dem getroffenen Arm. Die Handfläche war voller Blut. An der Stelle, wo die Axt ihn getroffen hatte, war der Anzug zerfetzt, der Stoff dunkel verfärbt.
Vlad verdrängte den Schmerz, seine Augen glitzerten böse. »Sie sind tot. Ihr seid alle tot. Dieses ganze Dorf wird dafür bluten, das schwör ich Ihnen.«
Die rechte Hand verschwand im Inneren seiner Anzugjacke. Gisela stellte sich schützend vor ihren Vater. Sie dachte, der Rumäne würde eine Waffe ziehen. Aber es war nur ein Handy. Er fotografierte Jakobs Gesicht, das hinter Gisela hervorlugte.
»Ich werde dir persönlich das Herz herausreißen, du alter Idiot.« Vlad Tomanovici drehte sich um, ging zu seinem Wagen und quälte sich in den Fahrersitz.
Jakob wollte hinterher, aber Gisela hielt ihn zurück. Der Wagen legte einen Kavalierstart hin, dass der Kies spritzte. Gisela und Jakob wurden von ein paar Steinchen getroffen, beide wandten sich ab. Der Motor heulte noch einmal auf, als die Reifen auf dem Asphalt Halt fanden, dann verschwand die Limousine in einem Affentempo. Der Staub senkte sich langsam. Gisela sah ihren Vater finster an.
»Sag mal, geht’s
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