Unter aller Sau
noch?«
»Wieso hast du nix gemacht?« Vorwurfsvoll schleuderte Jakob ihr die Worte entgegen.
»Weil ich nix gegen ihn in der Hand hab«, fauchte Gisela.
»Aber du weißt, dass er Ionela umgebracht hat. Da muss man was machen.«
Gisela hielt die Axt hoch. »Damit?«
»Wenn ich ein Gewehr gehabt hätt, hätt ich ihn erschossen.« Er meinte es bitterernst. »Ist mir doch scheißegal, ob ich im Gefängnis verreck oder in einem Heim. Lang hab ich eh nimmer.«
Ohne einen weiteren Blick an Gisela zu verschwenden, stapfte er zurück ins Haus. Dieser Sonntag war für die Katz.
Gisela unterrichtete Lederer von Vlads Besuch und seinen Todesdrohungen. Der Hauptkommissar stellte die rein rhetorische Frage, was er denn dagegen machen solle. Auch Gisela wusste, dass man warten musste, bis tatsächlich was passierte. Präventiv gab es keinerlei Handlungsmöglichkeiten. Bis auf eine.
»Könnte man Ionel Tomanovici nicht vorübergehend auf freien Fuß setzen? Mit elektronischer Fußfessel? Das würde möglicherweise vorerst Schlimmeres verhüten.«
Gisela hörte durch den Telefonhörer, wie Lederer nach Luft schnappte.
»Frau Kollegin, Sie drücken mir hier eine ganze Familie aufs Auge, ich spiel den lieben Bräutigam, um eine Aussage zu bekommen, die Anklage wegen Mordes steht, und da fragen Sie mich allen Ernstes so was?« Er keuchte empört. »Darauf gibt es eine einzige Antwort: Nur über meine Leiche.«
Gisela hatte damit gerechnet, trotzdem traf es sie wie ein Haken in den Magen. Sie atmete tief durch.
»Also soll ich abwarten?«
»Ja. Und meiner Erfahrung nach beißen Hunde, die bellen, nicht.«
»Meiner Erfahrung nach stimmt das leider überhaupt nicht. Aber ich erspar Ihnen die Geschichte dazu. Wiederhören.« Gisela knallte das schnurlose Telefon in die Ladestation.
Da Gisela Vlads Drohung durchaus ernst nahm, bat sie noch am Nachmittag Schorsch und Erwin zu einer Lagebesprechung auf den Wegmeyerhof. Richie wurde wie ein Lifestyleaccessoire auf der Couch abgelegt. Erwin machte sich inzwischen so große Sorgen um Richie, dass er später Schwester Doris aufsuchen wollte. Sie hatte vor Jahren auf einer Palliativstation in Rom gearbeitet. Von ihr erhoffte er sich Heilung für den Untoten.
»Wir müssen die Bevölkerung auf jeden Fall schützen«, sagte Gisela, nachdem sie Vlads Besuch geschildert hatte.
Schorsch schaute bewundernd zu Jakob, der in seinem Sessel saß und auf den ausgeschalteten Fernseher starrte. Der alte Mann hatte mit seinem mutigen Angriff auf Vlad eine Art Heldenstatus bei Schorsch errungen. Wie gerne wäre er so tapfer!
»Ja, und wie sollen wir das machen? Wir sind nur zu viert«, sagte Erwin. Sein Blick huschte kurz zu Richie. »Nicht einmal«, ergänzte er leise.
»Wir müssen jeden Niedernussdorfer zu erhöhter Wachsamkeit aufrufen. Die kleinste Unregelmäßigkeit muss sofort an die Wache gemeldet werden.«
»Und was ist nachts?«
»Auch nachts. Da müssen die uns halt privat anrufen.«
Erwin stöhnte gequält auf.
»Das geht jetzt nicht anders, Erwin, da müssen wir jetzt alle zusammenhalten, auch wenn’s ungemütlich wird.«
»Ja, aber nachts. Da hör ich’s Telefon eh nicht.«
»Dann stellst du’s auf volle Lautstärke und legst es dir neben’s Bett.« Gisela ließ keinen Widerspruch gelten. Sie kannte das Phlegma ihrer Mitarbeiter, aber auch deren Verantwortungsbewusstsein. Man musste nur scharf genug daran appellieren. Erwin nickte resigniert.
»Es gäb noch eine andere Möglichkeit.« Schorschs Augen glitzerten tatendurstig.
Gisela und Erwin schauten ihn fragend an.
»Wir könnten zum Gegenschlag ausholen.«
»Gegenschlag auf was?« Erwins Stirn rutschte in Falten.
»Auf die Drohung.«
»Dann ist das kein Gegenschlag, sondern ein Erstschlag«, belehrte ihn Erwin.
Schorsch wischte den Einwand mit einer kurzen Handbewegung weg.
»Wir müssen das Böse an der Wurzel vernichten, damit es keine Blüten treibt«, feuerte er in Richtung Gisela ab. »Abhacken, verbrennen.« Seine Wangen glühten vor Begeisterung.
»Jetzt spinn dich aus«, war Giselas kühle Antwort. Manchmal steigerte sich Schorsch in einen Gedankenrausch, dass einem mulmig werden konnte. »Wir verbrennen niemanden.«
»Ich mein das ja auch bildlich.«
»Ist mir schon klar.« Gisela schüttelte entschieden den Kopf. »Wir sind da, um Gewalt zu verhindern und nicht zu entfachen.«
»Wir haben’s nicht verhindern können, dass die Gewalt schon zwei Opfer gefordert hat.« Sein brennender Blick
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