Unter aller Sau
bestätigte Schwester Doris’ Diagnose, ergänzt um ein paar Kleinigkeiten wie einen gebrochenen Mittelfinger, zwei ausgeschlagene Schneidezähne und ein geplatztes Trommelfell.
»Nichts Besorgniserregendes.« Doktor Rothaler stellte ein Rezept über ein starkes Schmerzmittel und eine Gipsbandage aus. Er gab es Gisela nicht sofort. »Ich hoffe, wir haben nicht vor, die beiden weiter zu foltern.«
»Wir haben die nicht gefoltert«, protestierte Gisela.
»Die Verletzungen lassen aber nur diesen Schluss zu. Wir verwandeln Niedernussdorf doch hoffentlich nicht in eine Außenstelle von Guantanamo, oder?«
Gisela schüttelte entsetzt den Kopf.
Doktor Rothaler hielt das Rezept hoch. »Darauf steht mein Name. In vierundzwanzig Stunden werde ich den Vorfall in Straubing der Polizei melden. Bis dahin sollten Sie Ihre Angelegenheiten hier geregelt haben. Ganz wunderbar wäre es, wenn Sie sich selbst an die Behörden wenden. Ich wasche ungern die schmutzige Wäsche anderer Leute.«
»Ich weiß es zu schätzen, Herr Doktor.« Sie bekam das Rezept, und Doktor Rothaler packte sein Köfferchen zusammen.
»Äh, Herr Doktor, ich hätt da noch jemanden, den Sie sich grad mal anschauen könnten?«
Sie deutete auf ihr Büro. Richie saß wie eine Puppe auf Giselas Bürostuhl. Sabber lief ihm am Mundwinkel runter. Nach der ersten Überraschung und einer schnellen Untersuchung stellte Doktor Rothaler ein weiteres Rezept aus. Richie sollte mit einer Kombination aus einem Neuroleptikum und einem Antidepressivum wieder auf Vordermann gebracht werden.
»Damit bekämpfen wir zwar die Symptome, nicht aber die Ursache. Dieser Mann braucht unbedingt eine psychotherapeutische Intervention.«
Gisela wischte den Sabber von Richies Kinn.
»Wir sollten Ihre ganze Mannschaft mal auf psychische und emotionale Stabilität untersuchen lassen. Hier liegt meiner Meinung nach einiges im Argen, und wenn wir keine professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, befürchte ich, dass dem Irrsinn Tür und Tor geöffnet werden.«
»Wir haben alles im Griff, Herr Doktor.«
Bevor sie und Doktor Rothaler in den Smart stiegen, glaubte sie, aus den Augenwinkeln Vlads Wagen vorbeifahren zu sehen. Doch kaum dass sie richtig hinschauen konnte, war der Wagen um die Kurve verschwunden. Im gleichen Augenblick schoss der Streifenwagen mit Schorsch und Jana auf den Parkplatz. Verwundert registrierte Gisela, dass Jana am Steuer saß. Mit bedröppelter Miene stieg Schorsch aus.
»Rein. Sofort«, zischte Gisela wie eine erzürnte Mutter, die ihre Kinder bei etwas Verbotenem erwischt hatte. »Und ihr wartet, bis ich wieder da bin, verstanden?«
Schorsch nickte, nahm verlegen den Autoschlüssel von Jana in Empfang.
»Es war meine Idee.« Jana machte eine entschuldigende Geste. »Georg ist so verständnisvoll. Er hat so ein weiches Herz.«
»Eher eine weiche Birne.« Gisela atmete tief durch. »Vielleicht sollten wir uns wirklich alle auf unseren geistigen Zustand untersuchen lassen.« Sie nickte Richtung Dienststelle. »Und jetzt ab.«
Schorsch und Jana trollten sich, und Gisela fragte sich, was sie nur falsch gemacht hatte.
Als Schorsch die Dienststube betrat, legte Erwin das Motorradmagazin weg, in dem er geblättert hatte, und stand auf.
»Na, endlich. Dann kannst du jetzt aufpassen.« Er schnappte sich seine Lederjacke. »Ich muss zur Apotheke.« Er schaute an Schorsch vorbei in den leeren Flur. »Wo ist denn die Jana?«
Schorsch presste Erwin schnell die Hand auf den Mund.
»Du darfst ihren Namen nicht sagen«, flüsterte er Erwin heiß ins Ohr. »Sonst wissen die doch, wen sie killen müssen.«
Er blickte zu den Rumänen, die keinerlei Interesse an den beiden Polizisten zeigten. Erwin packte Schorschs Unterarm, zerrte Schorschs Hand von seinem Mund. Er wischte sich angeekelt über die Lippen.
»Die verstehen kein Wort Deutsch.«
»Ein Name ist ein Name. In jeder Sprache.«
»Ja, und deiner heißt auf Rumänisch Volldepp.«
Verärgert stapfte Erwin davon. Schorsch wartete, bis sein Kollege außer Sichtweite war, dann holte er eine Isolierdecke aus dem Notfallschrank und warf sie dem größeren Rumänen über den Kopf, ohne sich um dessen lautstarken Protest zu scheren. Der auf dem Boden liegende Mann bekam Schorschs Jacke als Sichtschutz verpasst. Erst nachdem er ganz sicher war, dass beide nichts sehen konnten, holte er Jana auf leisen Sohlen in die Dienststube. Er brachte sie in Giselas Büro, versorgte sie mit Kaffee und Mineralwasser und leistete ihr
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