Unter Brüdern (German Edition)
ein Jahr weggewesen wäre. Was wäre aus Megan geworden? Oder besser gesagt: was wäre aus Megan und ihm geworden? Hätte sich überhaupt etwas zwischen ihnen entwickelt? Oder wären sie sich ein ganzes Jahr lang aus dem Weg gegangen? Er hatte sich diese Fragen oft gestellt, doch er wusste wie sinnlos sie waren. Selbst wenn Ken zugegeben hätte geschossen zu haben, wäre er wahrscheinlich nicht einmal vor Gericht gekommen. Er war schließlich Polizist.
Megan beobachtete Jake dabei, wie er sein Brot mit Marmelade beschmierte, als würde er sich nur darauf konzentrieren und nichts anderes um sich herum mitbekommen.
Er schien genauso nachdenklich wie sie.
Sie konnte nur ahnen wie sehr es in ihm arbeitete. Auch für ihn war es nicht leicht seinen eigenen Bruder zu hintergehen, genauso wie sie vom schlechten Gewissen geplagt wurde ihren langjährigen Freund hintergangen zu haben.
Sie sprachen kein Wort, aber sie waren sich ihrer beider Anwesenheit noch nie so bewusst gewesen.
Megan ließ ihren Blick in den Garten schweifen. Es war ein verregneter Tag und sie war froh darüber, dass die Hitze der vergangenen Tage und Nächte ein wenig verdrängt wurde, auch wenn für heute ein schwüler Tag vorausgesagt worden war.
Sie betrachtete Jake zum ersten Mal mit anderen Augen. Nicht mit denen eines verschmähten und erniedrigten, verschüchterten Mädchens, sondern mit denen einer Geliebten, die womöglich genauso von ihm geliebt wurde, wie sie ihn liebte.
Seine Unterarme spannten sich an, während er seine Kaffeetasse umgriff und seine Augen hingen an ihr, als wolle auch er keine ihrer Bewegungen verpassen.
Als sie Schritte auf de r Treppe hörten, stand Jake auf. Er zwinkerte Megan zu und ging Ken mit seiner Tasse in der Hand entgegen, um sich oben fertig zu machen.
Ken kam mit einem verschlafenen „Guten Morgen“ die Treppe hinuntergelaufen, setzte sich neben sie an den gedeckten Tisch und begann zu frühstücken.
Zu Megan sagte er kein Wort, aber es war nicht mit Jakes Schweigen zuvor zu vergleichen, es war ein griesgrämiges Anschweigen, voll von angestautem Ärger.
Megan ertappte sich einmal mehr dabei, wie sie die Brüder verglich, ihr Aussehen, ihr Verhalten, selbst die Art zu essen.
Obwohl Ken der Ältere von beiden war, waren seine Gesichtszüge feiner geschnitten, er achtete stets darauf frisch rasiert zu sein, trug seine Uniform akkurat gebügelt und hatte den Haarschnitt seit Jahren auf ein und derselben Länge.
Er hasste Veränderungen. Er plante alles ganz genau im Voraus und wurde Menschen gegenüber wütend, die nicht dasselbe taten. Megan hatte ihm einmal versucht zu erklären, dass er die Menschen eben so nehmen musste wie sie waren, dass nicht jeder gern plante, sondern dass es Menschen gab, wie Jake und auch Megan selbst, die nur das Nötigste planten und vieles gerne auf sich zukommen ließen. Man musste auch das akzeptieren. Ken sah gut aus, hatte große blaue Augen, denen man auf der Stelle glaubte und die Megan einst so verliebt angesehen hatten.
Jake hingegen liebte harte Arbeit. Er hätte mit einem Beruf wie Kens nichts anfangen können. Auch Ken arbeitete hart, aber Jake brauchte die Natur, das Wilde, den Spaß an seiner Arbeit.
Jake war wunderschön, wenn auch rauer als sein Bruder. Man sah ihm die Arbeit auf den Feldern an. Er hatte zwar eine zarte Haut, ließ sich aber meist einen 3-Tage-Bart stehen, achtete nicht so sehr auf sein Aussehen wie Ken. Zudem hatte er zwei oder drei Narben im Gesicht, die das Ergebnis seiner rebellischen Jugend waren und ein paar mehr waren seit dem Gefängnisaufenthalt dazu gekommen. Er war wild, immer noch. Megan spürte geradezu, wie er hin und wieder nach Ärger suchte, er ging niemals auf Schwächere los (sie natürlich ausgeschlossen), er suchte sich immer Seinesgleichen oder Kerle, die er stärker einschätzte als sich, er brauchte die Herausforderung.
Sie fragte sich, inwieweit sich die Brüder anders entwickelt hätten, wenn sie Megan erst später kennengelernt hätten. Als sie achtzehn war, zum Beispiel.
Zu gerne hätte sie gewusst, ob Jake sich dann öffentlich für sie interessiert und um sie geworben hätte und was für eine Art von Paar sie heute wären. Ein friedliches? Wohl kaum. Sie lachte innerlich auf. Zumindest konnte sie es sich nicht vorstellen. Und wäre sie dennoch mit Ken zusammen gekommen? Manchmal überlegte sie, dass sie sich nur dafür entschieden hatte mit ihm zusammenzubleiben, weil es so am bequemsten
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