Unter deinem Stern
dass niemand zu sehen war. Plötzlich fühlte sie sich völlig verunsichert. Was, wenn sie sich das alles am Ende doch nur eingebildet hatte? Was, wenn diese Jalisa nichts weiter als eine Ausgeburt ihrer Fantasie war, geboren aus dem inneren Bedürfnis nach Hilfe? Gütiger Himmel! Sie fing schon an, wie Dr. Lynton zu denken. Inneres Bedürfnis nach Hilfe, ha!
»Morgen, Claudie!«, flötete Kristen.
»Morgen«, erwiderte Claudie. Mit einem Mal wurde ihr bewusst, dass sie hier war, um zu arbeiten, und nicht, um sich von kleinen Engeln unterhalten zu lassen, die niemand außer ihr sehen konnte.
Dann entdeckte sie es. Eine winzige Kritzelei auf dem obersten Blatt ihres Haftnotizblocks. Es war kaum erkennbar, Claudie konnte die Nachricht nur mit Mühe entziffern.
»Hallo, Claudie. Wir werden uns leider ein bisschen verspäten. Liebe Grüße, Jalisa. «
Also hatte sie es sich doch nicht eingebildet.
Sie setzte sich an ihren Schreibtisch, schaltete den Computer ein und machte ein bisschen Fingergymnastik, um sich auf die Arbeit vorzubereiten. Kristen war bereits voll in Aktion. Wahrscheinlich ist sie etwas früher gekommen, dachte Claudie, um einen Teil der liegen gebliebenen Aufgaben vom Vortag aufzuarbeiten, bevor die Chefs eintrafen.
»Hat irgendjemand ein paar Haftnotizen für mich?«, fragte Kristen plötzlich und schaute sich hilflos im Büro um. »Ich schwöre dir, die Dinger kriegen über Nacht Beine!«, sagte sie zu Claudie, nachdem sie deren Block entdeckt hatte, und kam schnurstracks auf sie zu.
»Kannst du mir ein paar von deinen abgeben? Ich ersetze sie dir, sobald die nächste Büromateriallieferung kommt«, sagte sie, während sie gleichzeitig nach dem Blöckchen griff. Hastig legte Claudie ihre Hand auf Kristens. Sie konnte ihr die Post-its auf keinen Fall überlassen. Nicht mit der Nachricht auf dem obersten Blatt. Der Himmel wusste, was sie sich denken würde, wenn sie das winzige Gekritzel entdeckte.
»Ich brauch doch nur ein paar, Claudie!« Kristen lachte. »Damit ich mir merken kann, was ich heute alles erledigen muss.« Sie nahm den Block an sich.
Claudie schloss die Augen in Erwartung von Kristens Fragen. Konnte sie so tun, als wüsste sie von nichts? Würde Kristen es ihr abkaufen, wenn sie behauptete, sie kenne niemanden namens Jalisa? Wahrscheinlich nicht. Sie wusste nur zu gut, dass Kristen es immer irgendwie schaffte, alles aus ihr herauszulocken.
»Kristen? Ich glaube, ich habe mir auf dem obersten Blatt etwas notiert.«
»Was? Wo?« Kristen beäugte das oberste Blatt. »Da steht überhaupt nichts, Claudie. Siehst du?«, sagte sie und hielt ihr das gelbe Blöckchen hin. Claudies Augen weiteten sich, als sie Jalisas winzige Nachricht deutlich in blauer Tinte vor sich sah.
»Ich gehöre dir!«, hatte Jalisa gesagt. Dann stimmte es also. Niemand anders konnte sie sehen oder hören.
»Hast du vielleicht etwas verlegt?«, fragte Kristen.
»Nein, nein!« Claudie schüttelte lächelnd den Kopf.
Bis elf hatte Claudie fast vergessen, dass ihre Engel sich heute vorstellen wollten. Mr Bartholomew hatte ihr einen dicken Stapel Schreibarbeiten auf den Tisch geknallt und auch Kristen einiges zu tippen gegeben, obwohl diese eigentlich Mr Simpsons Schreibkraft war. Claudie war vollkommen in ihre Arbeit vertieft und wäre beinahe von ihrem Stuhl gesprungen, als Jalisas Beine plötzlich über ihrem Bildschirmrand baumelten.
»Morgen, Claudie! Du hast mich bestimmt schon längst vergessen!«, sagte sie und legte den Kopf schief, sodass ihre Löckchen ihr über die Schulter hingen.
»Jalisa!«
»Hast du meine Nachricht bekommen?«
»Ja. Aber ich –«
»Gut«, fiel Jalisa ihr ins Wort. »Tut mir Leid wegen des Durcheinanders – die Dienstpläne waren viel zu spät fertig, und dann hat es mit der Einteilung nicht geklappt. Ich wünschte wirklich, die wären ein bisschen besser organisiert. Die ahnen ja gar nicht, was sie für ein Chaos anrichten. Egal, jetzt sind wir hier. Und zwar alle fünf.«
Claudie schaute sich neugierig auf ihrem Schreibtisch um, konnte jedoch nichts entdecken, was Jalisa in irgendeiner Weise ähnlich sah.
»Nein!«, rief Jalisa. »Wir sind da, allerdings noch nicht ganz, wenn du verstehst, was ich meine.«
»Nein«, erwiderte Claudie ehrlich, »ich verstehe überhaupt nichts.«
»Du musst dir zuerst ganz sicher sein, dass wir das richtige Team für dich sind.«
»Aber das bin ich!«
»Du bist dir hoffentlich darüber im Klaren, dass du uns nicht einfach so
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