Unter deinem Stern
mit Schlammresten verkrusteten Stiefel angestarrt, die neben der Hintertür standen. Wie hätte Claudie sich von ihnen trennen sollen? Das war der Schlamm, durch den sie eine Woche vor seinem Tod zusammen gestapft waren.
Gott, was war das für eine Wanderung gewesen! Luke hatte ihr ein Paar Gummistiefel gekauft, und dann war er mit ihr aufs Land hinausgefahren.
»Es wird dir bestimmt gefallen!«, hatte er ihr versprochen, während er sie durch einen Wald geführt hatte, dessen Wege unter schokoladenbraunem Schlamm verborgen waren.
Sie waren so tief in den schmatzenden Boden eingesunken, dass sie vor lauter Mühe, nicht das Gleichgewicht zu verlieren, kaum Gelegenheit gehabt hatten, sich irgendetwas anzuschauen, und als sie zu ihrem Wagen zurückkamen, sahen sie aus, als hätten sie ein Moorbad genommen.
Sich von den Stiefeln zu trennen hätte Claudie wie eine Art Amputation empfunden, und sie hatte es einfach nicht übers Herz gebracht. Sie hatte sich nicht einmal dazu aufraffen können, sie zu säubern. Jetzt standen sie immer noch an der Hintertür, wie zwei Wachposten.
Claudie dachte an Mrs Gale. In der ersten Woche nach der Beerdigung hatte sie fast jeden Tag angerufen, doch irgendwann hatte sie sich überhaupt nicht mehr gemeldet. Es gab nichts mehr, worüber sie hätten reden können, und Claudies Rolle als Schwiegertochter war damit beendet gewesen.
Sie stand immer noch vor dem Schaufenster. Einen Moment lang schloss sie die Augen, doch das Bild des rotkarierten Hemds ließ sich einfach nicht verscheuchen. Sie könnte es kaufen. Sie könnte jetzt sofort in den Laden gehen und es mitnehmen. Aber damit wäre es noch lange nicht Lukes Hemd. Er würde es niemals tragen und es als sein Eigentum betrachten.
Manchmal machte Claudie den Kleiderschrank auf und musterte seine Kleider, so als könnte sie ihnen wieder Leben einhauchen. Einmal hatte sie sogar ihre Nase in den weichen Stoffen vergraben in dem verzweifelten Versuch, eine Spur von ihm darin zu finden. In Filmen hatte sie oft gesehen, wie Leute so etwas taten. Doch es war völlig zwecklos gewesen. Sie hatte nichts als den Duft von Lenor gerochen.
Sie öffnete die Augen und schaute das Hemd noch einmal an. So gern sie es gekauft hätte, tief in ihrem Inneren wusste sie, dass es sinnlos war.
Als Claudie nach der Mittagspause ins Büro zurückkam, stand Kristen auf, um loszugehen.
»Alles in Ordnung?«, fragte Claudie.
»Ja, ja. Ich flitze nur mal kurz nach Hause, um mir ein paar Sachen zu holen. Allmählich geht mir die Unterwäsche aus.«
»Meinst du, Jimmy ist nicht da?«
»Nein. Gegen Mittag geht er immer auf ein Bier in den Pub.«
Claudie lächelte. »Kriegst du das hin?«
»Na klar«, erwiderte Kristen, aber ihr Gesichtsausdruck strafte sie Lügen.
Claudie warf einen Blick auf ihren Schreibtisch, wo die Engel zusammensaßen und Karten spielten.
»Meint ihr nicht, Kristen könnte auch ein paar Engel gebrauchen?«
Die Engel blickten lächelnd auf und schüttelten alle den Kopf.
»Warum nicht?«, fragte Claudie.
»Wenn wir zu jedem geschickt würden, der gerade eine Beziehungskrise durchlebt, wären wir restlos überfordert«, erklärte Jalisa. »Außerdem lassen wir den Menschen stets ein paar Monate Zeit, um ihre Probleme selbst in den Griff zu bekommen, bevor wir aktiv werden. Erst wenn sie nach dieser Frist immer noch nicht mit ihrem Leben zurechtkommen, schreiten wir ein.«
»Kristen –«
»Kristen hat noch lange nicht genug gelitten«, verkündete Lily.
»Verstehe«, sagte Claudie. »Das ist aber hart, meint ihr nicht?«
»Ich glaube, es gibt eine Redensart: So ist das Leben« ,meldete sich Mr Woo zu Wort.
Claudie nickte. Das bedeutete also, dass sie wirklich gelitten hatte. Sie hatte es verdient, dass Engel sich um sie bemühten. Ein vernichtendes Urteil. Es bedeutete, dass sie nicht in der Lage gewesen war, ihr Leben selbst in den Griff zu bekommen.
»Ich weiß, was dir durch den Kopf geht«, sagte Jalisa und stand auf. »So darfst du nicht denken.«
»Das ist doch nicht normal, oder?«
»Was ist nicht normal?«
»Dass man Hilfe braucht.« Wieder überfielen sie ihre Selbstzweifel. Dieses Gefühl war ihr zuwider. Es war fast so schlimm wie Trauer.
»Nicht normal?« Bert legte seine Karten weg. »Willst du uns um unsere Arbeit bringen?«
»Wirklich«, rief Lily. »Womit sollten wir uns denn den ganzen Tag beschäftigen, wenn es keine Menschen mehr gäbe, die unsere Hilfe brauchten?«
»Daran hab ich noch gar nicht
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