Unter deinem Stern
Er lag im Halbdunkel mit offenen Augen da und versuchte, in der alten Tapete an den Wänden Gesichter zu erkennen.
Obwohl er die ganze Zeit versuchte, Rachepläne zu schmieden, wusste er im Grunde seines Herzens, dass er bereits verloren hatte. Er hätte niemals Mitleid mit Felicity haben und sie auf gar keinen Fall bei sich übernachten lassen dürfen. Aber was hätte er denn tun sollen? Wahrscheinlich war das mit der Schwangerschaft sowieso ein Bluff, aber er hatte keine Möglichkeit, das zu beweisen.
Er drehte sich um und drückte sein Gesicht ins Kopfkissen. Während er den Schlaf herbeisehnte, hörte er, wie die Zimmertür leise geöffnet wurde. Er nahm sich schon seit Monaten vor, die Scharniere zu ölen, doch jetzt dankte er dem Himmel dafür, dass er noch nicht dazu gekommen war.
»Simon?«
Simon rührte sich nicht und tat so, als schliefe er.
»Bist du noch wach?«, fragte Felicity. »Ich kann nicht schlafen.«
Ohne sich die Mühe zu machen, festzustellen, ob er tatsächlich schlief oder nicht, hatte sie die Decke zurückgeschlagen und war zu ihm ins Bett geschlüpft.
»He!«, schrie Simon ins Halbdunkel. »Was zum Teufel soll das?«
»Mir ist kalt«, jammerte sie scheinheilig und kroch noch tiefer in das Doppelbett, das sie einst miteinander geteilt hatten.
»Herrgott, Felicity!«
»Ich möchte nur ein bisschen kuscheln. Komm schon, sei nicht so«, sagte sie und rückte näher an ihn heran, sodass er ihre langen, seidigen Beine an den seinen fühlen konnte. »Gib dich doch nicht so unterkühlt«, flüsterte sie.
Er fühlte sich überhaupt nicht unterkühlt, im Gegenteil, er kochte vor Wut, aber als er versuchte, Felicity wegzuschieben, wand sie ihr rechtes Bein um ihn wie eine liebestolle Schlange, und ehe er wusste, wie ihm geschah, begann sie ihn zu küssen.
Ihre Hände arbeiteten sich seinen Körper entlang, der zu seinem Verdruss darauf reagierte. Doch er zwang sich, daran zu denken, wie sie ihn hatte sitzen lassen, wie sie ihn um seine Ersparnisse erleichtert und dann die Frechheit besessen hatte, an seine Tür zu klopfen, in der Hoffnung, dass er die Scherben ihres verpfuschten Lebens wieder einsammelte.
Bevor es zu spät war, fand Simon seine Stimme wieder. »Mach, dass du rauskommst, Felicity – und zwar auf der Stelle!«, brüllte er.
Anfangs war sie zu schockiert, um etwas zu entgegnen, aber als ihr klar wurde, dass er sich nicht auf ihre Avancen einlassen würde, schlug sie die Bettdecke zurück, stützte sich auf einen Ellbogen und ließ ihn sehen, dass sie immer noch nackt zu schlafen pflegte. Er bemühte sich, nicht hinzusehen.
»Sei doch nicht so ein Langweiler, Simon.«
»Wir reden morgen früh miteinander.«
Einen Moment lang schwiegen sie und starrten einander im Halbdunkel an.
»Ich rühre mich nicht hier weg«, sagte Felicity ganz ruhig.
Simon spürte, wie sein Puls raste, doch er war wild entschlossen, die Kontrolle über die Situation zu behalten. Er würde sich nicht von ihr um den Finger wickeln lassen. Diesmal bestimme ich, wo es langgeht, sagte er sich.
»Meinetwegen.« Simon stieg aus dem Bett. »Dann schlafe ich eben im Gästezimmer.« Er ließ sie allein, schlurfte über den Flur und lächelte vor sich hin, als er die Tür zum kleinsten Schlafzimmer der Welt hinter sich verriegelte.
Wenn sie glaubte, sie könnte ihm in das schmale Bett folgen, dann hatte sie sich getäuscht.
33
»Ich weiß nicht, ob ich das schaffe«, sagte Kristen, während sie in einer riesigen Schale Schokoflocken rührte und zusah, wie die Milch sich braun färbte.
»Was schaffst du nicht?«, fragte Claudie und biss in ihr Toastbrot.
»Noch einen Tag ohne Jimmy aushalten«, seufzte Kristen. »Und noch eine Nacht.«
»Fehlt er dir?«
Kristen legte ihren Löffel weg und schaute ihre Freundin an. »Ach, Claudie. Ich weiß nicht, wie du das die ganze Zeit durchhältst.«
Claudie starrte auf den schwarz-weißen Fußboden. Die schwarzen Vierecke waren verblasst und zerschrammt, und die weißen waren eher grau.
»Ich auch nicht«, sagte sie. Sie zuckte die Achseln und überlegte, wie sie Kristen ihr Leben seit Lukes Tod beschreiben sollte. »Man atmet und schläft. Manchmal kriegt man Hunger und isst was, aber nicht sehr oft. Man wird einfach ein anderer Mensch.« Sie ließ ihren Blick an die Decke wandern. »Es ist, als würde ein kleiner Fremder in dir die Kontrolle übernehmen.«
Kristen nickte nachdenklich, als wären Claudies Worte das Weiseste gewesen, das sie je gehört
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