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Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)

Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)

Titel: Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Fuller
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Mittagessen hielten sie, beschattet von alten Tageszeitungen, lange Siestas. An den Nachmittagen heckten sie für das gefürchtete wie unvermeidliche Kostümfest, zu dem jede mindestens eins ihrer Kinder schicken musste, in aller Ruhe das einfachste Kostüm der Welt aus. »Feigenblätter«, sagte Mum. »Was gibt es Einfacheres? Ihr James ging als Adam und du als Eva, und ihr habt furchtbar lieb ausgesehen, wie ihr Hand in Hand herumgetappt seid, eure Dingelchen brav hinter Feigenblättern versteckt. Ich glaube, die Jury war ziemlich beeindruckt, bis James seine Blätter auf die Seite drehte und sich auf ziemlich unbiblische Weise mit allem vergnügte, was da noch so runterhing.«
    Mit jeder Seemeile, die das Schiff nach Süden vorankam, stieg Mums Vorfreude. Als Afrika sich immer größer in den Blick schob, klammerte sie sich an der Reling fest und spürte, wie die klamme Nässe der vergangenen drei Jahre von ihr abfiel. Als ein kaum sichtbarer violetter Streifen am Horizont Kenia erkennen ließ, richtete sie den Blick nach Westen, um etwas von dem perfekten äquatorialen Licht in sich aufzunehmen. Und nachdem das Schiff um die Spitze Afrikas herumgeschlingert war, hielt Mum mich hoch in die erdige, holzfeuerwürzige Luft. Ein heißer afrikanischer Wind blies meine schwarze Topffrisur nach hinten, so dass es aussah, als hätte ich einen Glorienschein. »Riechst du es?«, flüsterte Mum mir ins Ohr. »Wir sind zu Hause.«

Nicola Fuller in Rhodesien: Zweite Runde

    Bos Kinder während einer Reise durch das
südliche Afrika, Groß-Simbabwe, Simbabwe, 2001
    Meine ersten Erinnerungen sind unzusammenhängend und verstreut: eine Schlange im Geißblattspalier hinter unserem Haus; Vanessa, wie sie in ihrer Schuluniform schwitzt und sich heldenhaft weigert, ein Wort zu lesen; ein raschelnder Teppich aus toten Insekten, der jeden Morgen von der Veranda gefegt wurde; ein Lamm, geschlachtet unter einem Eukalyptusbaum in einem Kraal, in dem ich zum ersten Mal Afrikaans hörte; der Geschmack gerösteter Maiskolben in einem Lager, in dem Shona gesprochen wird. (Und die ersten Wörter auf Shona und Afrikaans: nyoka, lekker, maiwe!, voetsek, huku.)
    Die erste zusammenhängende Erinnerung habe ich an ein Farmhaus in der Nähe der kleinen Stadt Karoi. »Viele Zimmer, aufgereiht unter einem heißen Blechdach«, sage ich. »Und war es nicht flach und sehr trocken, und der Rasen war durchwachsen mit Papageienblatt?«
    Mum stellt ihre Teetasse ab. »Na ja, das Haus war kein Palast, aber der Farmer, dem es gehörte, war sehr freundlich und großzügig und ließ uns umsonst dort wohnen.« Mum schaut mich an. » Und er hat schrecklich wilde Partys gefeiert, da musste man Federn über ein Bettlaken pusten, bis keiner mehr einen Fetzen Kleidung am Körper hatte. Wir haben’s nie so recht begriffen, so naiv waren wir, oder, Tim?«
    »Was?«, sagt Dad.
    » NAIV «, ruft Mum, » SO NAIV WAREN WIR .«
    Dad zündet seine Pfeife an. »Oh ja«, sagt er, »das stimmt.« Eine Rauchwolke hüllt seinen Kopf ein. »Das waren wir.«
    An einem Mainachmittag vor gar nicht so langer Zeit sitzen wir zu dritt unter dem Baum des Vergessens. Ich habe mir für den Besuch bei meinen Eltern den Herbst ausgesucht, weil es noch warm, aber nicht mehr unerträglich heiß ist. Der Boden ist weder überflutet noch ausgetrocknet, die Farm geradezu ein Idyll: Gänse und Schafe grasen im Gleichtakt zwischen den Fischteichen, hin und wieder kräht im nahe gelegenen Dorf ein Hahn seine Hennen zur Ordnung (ein Geräusch aus der Kindheit, das Erinnerungen an das Erwachen aus hitzebetäubtem Mittagsschlaf weckt), Vögel streiten sich um das Wasser aus dem Bewässerungsschlauch in Mums Gemüsegarten. »Sieh mal«, sagt sie, »ein Halsband-Bartvogel.« Mum legt den Kopf schräg und spricht mit ihm: »Duu-diddli, duu-diddli, duu-diddli, duu-diddli …«
    Und dann, als wäre es noch an den Vogel gerichtet, kehrt sie zu ihren Erinnerungen zurück. »Na ja, wir hatten ja auch nicht vor, in Karoi zu bleiben. Es war uns schon viel zu dicht besiedelt, oder, Tim? Wir suchten ein Land mit einem Stück Wildnis dabei, es sollte schon etwas aus dem Rahmen fallen.« Also brachte Dad an Sonntagen die Wochenzeitung mit nach Hause, sie legten auf dem Esstisch die Seite mit den Kleinanzeigen neben eine Karte von Rhodesien und suchten nach einer Farm, die in Größe und Zuschnitt dem Traum in ihren Köpfen entsprach.
    Bis 1930 war die gesamte Fläche Rhodesiens von der Kolonialregierung offiziell

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