Unter dem Deich
sie schaute auf die Böschung, auf den Klatschmohn, der bis Maasland blühte. Sie roch den Duft des Rapses, umfuhr mit ihrem Kinderwagen die dunkelgelben Löwenmäulchen im Sand.
»Wenn ich das richtig sehe«, meinte Maud, »dann ist der einzige hübsche Platz in dieser Stadt, an dem man sich ein wenig sonnen kann, eine Straßenböschung.«
»Mit schönem weißem Sand!«, sagte sie. »Es sieht fast aus wie am Strand, und man wird nicht vom Seewind halb weggeblasen. Wenn du in einen richtigen Park willst, dann müssen wir zum ’t Hof in Vlaardingen fahren.«
»Im Zug mit den Kinderwagen?«, fragte Maud spöttisch.
Maud nahm ihre Tochter und setzte sie in den weißen Sand. Dann sagte sie: »Du solltest rasch deinen Kopf bedecken. Denn denk dran: Das Braun verschwindet, aber die Falten bleiben.«
Maud holte sich selbst einen Strohhut aus dem Netz, das am Kinderwagen hing, und setzte ihn auf.
Sie dachte: »Bin ich dafür geboren worden? Um in der Böschung im Sand zu sitzen und mir Sorgen zu machen, dass ich Falten bekomme?«
»Da habe ich es ja ganz wunderbar getroffen«, sagte Maud, »und bin als Frau des Pastors in einem Nest mit lauter Hohlköpfen gelandet. Ich wette, wenn auch nur ein Presbyter mich hier sitzen sieht, dann werden im Kirchenrat schon Bemerkungen gemacht. Und diese Leute sind der Meinung, ich müsse Vorsitzende der Frauenvereinigung werden. Lächerlich!«
Sie verstand nicht, warum es sie schmerzte, Maud von einem »Nest mit lauter Hohlköpfen« reden zu hören. Es stimmte ja! Trotzdem war sie der Ansicht, dass nur die Bewohner dieses »Nestes« das Recht hatten, sich darüber zu beschweren, Menschen, die von woanders kamen, durften das nicht.
»Vorsitzende der Frauenvereinigung«, höhnte Maud, »na, solange ich dich zur Freundin habe, bin ich einigermaßen sicher. Du solltest mal hören, wie über dich gesprochen wird. Sie haben sich überlegt, dass ich versuchen soll, dich zu überreden, wieder zu deinem langweiligen Piet zurückzukehren, und Teun soll gleichzeitig auf Piet einwirken, damit er in die Scheidung einstimmt. Stell dir vor, wir wären beide erfolgreich! Wie dem auch sei, die jetzige Situation jedenfalls sei himmelschreiend, habe ich Presbyter Vreugdenhil sagen hören. O, Ien, ich bewundere dich so. Aber sag mal, wie konnte das denn überhaupt passieren, dass du diesen Piet geheiratet hast?«
Sie berichtete, doch Maud war niemand, der zuhören konnte. Sie fiel ihr schon nach dem zweiten Satz ins Wort: »Ja, ja, so war das bei mir auch. Mein Vater ist Konteradmiral gewesen, und Teun kam regelmäßig auf einen Schnaps vorbei. Er war damals Flottenprediger, ach, und wie rührend er war! Schon am ersten Abend hat er mich angesehen, als wollte er mich in die Falten seines Mantels nähen und mitnehmen. Und damals hatte er noch so einen wilden Lockenkopf. Zum Glück ist er immer noch nicht ganz kahl! Neulich war ich auf einem Treffen von orthodox-calvinistischen Pastoren. Lauter Kahlköpfe! Ich dachte: Wenn es stimmt, dass alle Haare auf eurem Kopf gezählt sind, dann war Gott mit euch schnell fertig! So, du hast Piet also aus Mitleid geheiratet.«
»Ich weiß es nicht«, antwortete sie, »es ist einfach passiert.«
»Blöd, nicht, ich habe Teun auch Hals über Kopf geheiratet. Und das, obwohl ich von Hause aus reformiert bin. Mein Vater war gar nicht damit einverstanden, aber meine Mutter … ach, die war ganz hin und weg von Teun, von Teuntje, wie sie immer gesagt hat. Man könnte fast meinen, ich hätte Teun nur geheiratet, um ihn meiner Mutter vor der Nase wegzuschnappen! Nun ja, er ist lieb, aber dieser Beruf … Mein Gott, ich finde dieses Christentum … das ist ein dermaßen unappetitlich blutiger Zirkus!«
Erschrocken schaute sie auf. Ihr Blick fiel auf die dunkle, turmhohe Mühle De Hoop. Maud sagte: »Erschreckt dich das? Neulich habe ich auf einem Konvent einen Pastor sagen hören: ›Nun sucht er bestimmt den Kuss der Sünden im Blut des Kreuzes.‹ Ein Blutkuss! Wie kommen sie nur auf so was?«
»Nun ja, aber …«, sagte sie und stocherte mit der Hand im Sand.
»Oder sie reden von dem Blut, mit dem alles bezahlt wird. Ich sehe uns schon mit einem Becher Blut zum Bäcker gehen. Ein Brot, bitte!«
»Nun ja«, wiederholte sie, »aber Jesus …«
»Genau, Jesus«, fiel Maud ihr ins Wort, »der spricht nie über Blut, der war phantastisch. Wenn der hier wäre, dann hätte er zumindest ordentlich Sand, um mit seinem Finger hineinzuschreiben. Bei jemandem wie dir
Weitere Kostenlose Bücher