Unter dem Deich
würde er diese Menge an Sand ja auch brauchen. Wie lange lebst du nun schon mit Jan in Sünde?«
»Zwei Jahre«, sagte sie.
»Dann reicht der Sand hier nicht. Aber die Polder hier sollen mit Sand aufgefüllt werden, habe ich gehört, im Prinzip bist du also richtig.«
»Ich wünschte, du würdest darüber nicht spotten.«
»Ach komm, wir müssen uns doch darüber lustig machen, sonst ist das Leben unerträglich. Und mach mir nicht weis, du könntest das nicht ertragen; dein Jan macht sich auch über alles lustig, genau wie mein Vater früher, er erinnert mich sehr an meinen Vater. Ach, ich wünschte, wir könnten was Nettes unternehmen, etwas richtig Nettes.«
»Was denn?«
»Tja, wenn ich das nur wüsste. Was ist das Schönste, was du je gemacht hast?«
»Oh, ich bin einmal …« Dann versagte ihre Stimme. Sie spürte, dass sie rot wurde.
Maud sagte: »Na los, erzähl. Ich höre dir auch zu, versprochen.«
Sie berichtete von dem Spaziergang auf der Coolsingel. Sie hatte das Gefühl, als würde mit jedem Wort, das sie sagte, der Zauber der Erinnerung verblassen. Es war vollkommen unmöglich, der Tochter eines Konteradmirals zu erklären, was diesen Spaziergang so unvergesslich gemacht hatte. Während sie redete, schien es, als verschwimme der Spaziergang immer mehr, als verflüchtigte er sich. Am Ende versuchte sie mit einem tiefen Seufzer noch etwas von der Erinnerung zu retten.
Maud sagte: »Weißt du was, wir deponieren die Kinder bei deiner zukünftigen Schwiegermutter und wiederholen das Ganze. Wir gehen ins Kino, gehen fein essen. Was hältst du davon?«
»In Ordnung«, sagte sie zögernd, »aber es ist natürlich niemals das Gleiche.«
»Das glaubst du! Wenn ich als Vamp verkleidet über die Coolsingel spaziere, dann gehe ich ein großes Risiko ein! All die Presbyter! Oh, Ien, weißt du, wovon ich manchmal träume? Dass ich mir die Fingernägel habe lang wachsen lassen und blutrot lackieren würde. Und während der Kirchenrat tagt, dringe ich ins Konsistorialzimmer ein und zerkratze den Presbytern der Reihe nach das Gesicht. Schade, dass ich so kleine Hände und Nägel habe … oh, du solltest das machen, du würdest sehen, deine plumpen Hände wären viel hübscher, wenn du dir die Nägel wachsen lassen würdest.«
»Plumpe Hände?«, fragte sie verdutzt.
»Ja, ein bisschen, aber dafür kannst du nichts. Und deine Nase ist auch zu groß. Die solltest du verkleinern lassen. Komm, wir gehen, inzwischen weht es hier genauso wie auf der Mole. Wetten, dass sich meine Kleine wieder erkältet hat. Wetten, dass ihr morgen wieder dermaßen der Rotz aus der Nase läuft, dass ich sie den ganzen Tag kopfüber halten muss.«
Nachdem sie in Gedanken die Coolsingel nun noch einmal hinuntergegangen war, kam es ihr vor, als hätte sie damit ihren ersten Spaziergang ungeschehen gemacht. Sie hatte ein Geheimnis preisgegeben, das sie, wie ihr erst jetzt bewusst wurde, unbedingt für sich hätte behalten müssen. Alles, was im Verborgenen geschieht, muss, so wurde ihr jetzt klar, auf ewig ein Geheimnis bleiben, von dem nicht einmal Gott etwas erfahren durfte. Dennoch war es schön, mit Maud in der Sonne über die Lijnbaan zu gehen und deutlich zu erkennen, dass das Ideal, das ihr einst vor Augen gestanden hatte und immer noch stand, stark abwich von dem, was Maud mit ihrem tief ausgeschnittenen Kleid und den Nylonstrümpfen anstrebte. Maud wollte offenbar ein Vamp sein und hegte nicht den gleichen Wunsch nach vollkommener Eleganz. Und das, obwohl Maud mit ihrem spindeldürren Körper, ihrem aristokratischen Gesicht und ihrer glatten Haut zweifellos augenblicklich als Mannequin angenommen worden wäre, während sie, sehr viel rundlicher und mit dem unauslöschlichen Stempel ihrer vulgären Herkunft im Gesicht, bereits ohne Make-up etwas von einem Vamp hatte. Ein Vamp mit plumpen Händen, der seine Nase verkleinern und sich die Nägel wachsen lassen musste!
Sie ging die Straße entlang, die Sonne schien, und was fehlte, war die seltsame Spannung, die Angst, erkannt zu werden. Was spielte es schon für eine Rolle, wenn sie erkannt wurde? Sie war sowieso schon stigmatisiert, abgestempelt als »das Schnuckelchen, das ein uneheliches Kind hat« und – Gott sei’s geklagt – mit einem Lehrer zusammenwohnte. Tja, nicht auszudenken, dass die eigenen Kinder bei dem in der Klasse sind. Wer aufpassen musste, war Maud, und dadurch schien jede Gefahr für sie selbst gebannt.
Maud sagte: »Sonntagnachmittag hat Teun in
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