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Unter dem Deich

Unter dem Deich

Titel: Unter dem Deich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maarten 't Hart
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anschaffen, aber wir schaffen nicht an, wirklich nicht.«
    »Nein«, sagte sie und dachte: »Maud hat mich nur mitgenommen, weil ich aus einem Arme-Leute-Viertel stamme, aus einem Stadtteil, von dem sie glaubt, die Leute seien dort so arm, dass sich die Frauen notgedrungen verkaufen müssen.« Es kam ihr so vor, als wäre sie in den zurückliegenden Jahren auf einer langen Flucht gewesen, weg aus der Sandelijnstraat, und als wäre diese Flucht, für die sie vor langer Zeit auf der Coolsingel endlich die richtige Form gefunden hatte und die just an diesem Tag dank des Kostüms von Chanel, der neuen Frisur und des Besuchs bei der Kosmetikerin vollendet zu sein schien, vollkommen vergeblich gewesen. Sie war nach Paris gereist, um zu entdecken, dass sie immer noch in der Sandelijnstraat lebte!
    Maud trank und sagte: »Paulus sagt doch, man solle alles ausprobieren.«
    Sie antwortete nicht.
    »Zahlen!«, rief Maud
    Nebeneinander gingen sie kurze Zeit später durch die warme, schwüle Abenddämmerung. Wieder kam es ihr so vor, als spazierte sie durch eine Wasserheizerei.
    Maud sagte: »Dann geh ich eben allein.«
    Sie reagierte nicht und ging, obwohl ihre Füße plötzlich heftig schmerzten, einfach weiter. Maud sagte: »Dann gehe ich eben allein, und wenn mich ein Mann anspricht, dann gehe ich mit.«
    »Erpressung«, dachte sie, »nicht drauf eingehen.«
    Sie bückte sich, zog die hochhackigen Schuhe aus und nahm aus der Tasche die, in denen sie heute Morgen das Hotel verlassen hatte. Einen Moment lang überlegte sie, die neuen Pumps wegzuwerfen, konnte sich aber nicht dazu entschließen. Sie steckte die Pumps in die Handtasche, machte ein paar Schritte und fühlte, wie wohltuend es für ihre Füße war, in flachen Schuhen zu gehen. Sie machte noch ein paar Schritte und hörte dann hinter sich das Geräusch sich entfernender Pfennigabsätze. Sie wollte noch hinter Maud herlaufen, beherrschte sich aber. Dann dachte sie: »Ich weiß nicht, wo ich bin, Maud hat den Stadtplan, wie soll ich unser Hotel jemals wiederfinden?« Auf gut Glück marschierte sie los, dachte aber nach ein paar Straßen: »So wird das nie was.« Sie blieb stehen, betrachtete sich in einer Schaufensterscheibe und hörte dann die fragende Stimme eines Mannes: »Chérie?«
    »Jetzt bin ich noch nicht einmal in der Nähe der Champs-Élysées und werde angesprochen«, dachte sie, während sie zugleich erstaunt darüber war, dass sie, ungeachtet des Schreckens, der in sie gefahren war, auch so etwas wie Stolz spürte. Entschlossen steuerte sie auf ein Metro-Schild zu. Ihre Füße belohnten sie bei jedem Schritt mit nie zuvor gefühlten Schmerzen. »Die passende Buße«, dachte sie, »und da ich den Namen des Hotels weiß, wäre es jetzt die einfachste, wenn auch teure Lösung, ein Taxi zu nehmen.« Dann murmelte sie vor sich hin: »Alle Städte sind gleich. Sie bestehen immer aus zwei Teilen, über dem Deich und unter dem Deich, südlich vom Fluss und nördlich vom Fluss. Vielleicht gibt es hier auch ein Nord- und ein Südufer?« Sie merkte, dass sie inzwischen laut mit sich selbst sprach, und stellte fest, dass dies die Passanten ziemlich befremdete. Man ging ihr aus dem Weg. »Das ist der Trick, mit dem man verhindert, von Männern angesprochen zu werden«, sagte sie laut auf Niederländisch. »Jetzt brauche ich nur noch eine Strategie, wie ich wieder nach Hause komme.« Sie spürte, wie diese Aufgabe (»eine recht einfache Aufgabe, aber auch ein bisschen schwierig«) ihre Stimmung verbesserte. »Wo bin ich?«, fragte sie sich. »Nördlich oder südlich der Seine?« »Südlich.« »Und wo befindet sich unser Hotel?« »Auf dem Nordufer.« »Gut, also erst einmal die Seine suchen.«
    »Wo ist die Seine?«, fragte sie an einer Fußgängerampel ein Mädchen, wobei sie dachte: »Einen solchen Satz findet man nicht bei Pascal.«
    Das Mädchen deutete auf eine Ampel in der Ferne.
    Sie machte sich auf den Weg und spürte, wie das Mädchen ihr hinterhersah. »Woher wissen wir, dass jemand unseren Rücken betrachtet, obwohl wir es nicht sehen?«
    Sie roch die Seine, ehe sie den Fluss sah. Sie ging am Ufer entlang und dachte: »Die Seine ist nicht halb so breit wie die Maas und riecht nicht halb so gut.« Sie vermisste den Wind, sie vermisste den salzigen Duft, sie vermisste die Vögel, sie vermisste die Fähre, sie vermisste das tuckernde Boot von Dirkzwager, sie vermisste den weit gespannten Himmel über dem Wasser.
    »Was sind die Pariser für Pechvögel«, ging

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