Unter dem Eis
bäuchlings auf dem Wasser, ganz dicht an dem Schutzhaus für die Enten. Ich bin sofort rein und hab ihn rausgezogen, hab versucht, ihn zu beatmen, war aber zu spät.« Der Mann schluckt. Jetzt erst bemerkt Manni seine nassen Haare und dass er eine Polizeitrainingshose trägt und die Uniformjacke eines Streifenkollegen um die bloßen Schultern gelegt hat. Seine eigene Kleidung hängt tropfend über Sattel und Lenker eines Herrenfahrrads. Im Gras daneben liegen Anglerutensilien.
»Ist Ihnen auf dem Weg an den Weiher jemand begegnet? Ist Ihnen irgendetwas aufgefallen?«
Beide Angler schütteln den Kopf. Höchstens eine Nacht lang könne Jonny unbemerkt in dem Teich gelegen haben. Jogger und Spaziergänger kämen hier quasi ständig vorbei, der Teich werde außerdem intensiv beangelt.
Die Spurensicherer bringen Karl-Heinz Müller mit, derschon auf einige Entfernung nach Sonnenöl und zitronigem Aftershave duftet und eine Baskenmütze trägt.
»Musst du den Jungen ausgerechnet finden, wenn ich zum Bouleturnier will?«
Ohne Mannis Antwort abzuwarten, streift der Rechtsmediziner Latexhandschuhe über und beginnt mit der ersten Untersuchung des Leichnams. Wie so oft scheint die Arbeit seine Laune zu verbessern. Nach ein paar Minuten beginnt er zu pfeifen, diesmal Hildegard Knefs Für dich soll’s rote Rosen regnen. Manni weiß aus Erfahrung, dass man Karl-Heinz Müller in dieser sensiblen Phase besser nicht mit Fragen behelligt. Er geht hinüber zu den Spurensicherern, die das Teichufer scannen, auch wenn es kaum Hoffnung gibt, dass sie irgendwas Brauchbares finden werden. Der Boden ist knochentrocken, der Wald wird frequentiert wie ein Freizeitpark. Ein Froschmann bereitet sich darauf vor, das trübe Wasser des Weihers zu erkunden. Vielleicht war der Täter ja dumm genug, dort etwas zu versenken.
Manni kehrt zurück zu Karl-Heinz Müller. Er müsste erleichtert sein, aber er ist es nicht. Dabei hat er noch vor kurzem geradezu gebetet, dass sie den Jungen endlich finden, tot oder lebendig. Dann kam der Anruf aus dem Krankenhaus. Manni drängt die Erinnerung beiseite. Ich muss zu den Stadlers fahren, denkt er. Die Todesnachricht überbringen. Es hat keinen Sinn, das noch länger hinauszuzögern.
»Was ist eigentlich mit deinen Händen passiert, bist du unter die Boxer gegangen und hast die Handschuhe vergessen?« Karl-Heinz Müller fördert einen silbernen Taschenaschenbecher aus der Gesäßtasche seiner Designerjeans und zündet sich eine Davidoff an. Er mustert Manni aufmerksam.
»Frag nicht, wie mein Gegner aussieht.«
Karl-Heinz Müller zieht die linke Augenbraue hoch.
»Was ist mit dem Jungen, kannst du schon was sagen?«
»Ein bis drei Tage ist er schon tot, vorsichtig geschätzt, aber die hat er wohl nicht in diesem Tümpel verbracht, sondern irgendwo, wo es kühl war. Die Totenstarre lässt schon wieder nach, erste minimale Anzeichen von Fäulnis, sehr vermindert ausgeprägte Totenflecke, das ist auffällig.«
»Und was heißt das?«
»Könnte ein Indiz für hohen Blutverlust sein. Entweder durch schwere Verletzungen, die ich jedoch so auf den ersten Blick nirgendwo finde, oder durch innere Blutungen.«
»Innere Blutungen – eine Folge von Drogen?«
Karl-Heinz Müller streift Asche in seinen Aschenbecher. »Über Ursachen spreche ich nach der Obduktion. Wer ist denn zuständig vom KK 11 ?«
»Ich soll’s machen.«
»Allein?«
»Ab morgen mit Judith zusammen.«
Karl-Heinz Müller zieht an seiner Zigarette. Sein Gesichtsausdruck ist unergründlich.
»Wir sehen uns bei der Leichenschau« ist sein einziger Kommentar zum Revival des Teams Krieger und Korzilius.
Am Tag, an dem sie Jonny finden, wird der Kommissar Manfred Korzilius noch eine Spur ernster gucken, seine Stimme wird tiefer sein, er wird ihren Blick nicht suchen wie sonst. Er wird sie über Jonnys Tod informieren, in angemessen gesetzten Worten, er wird sie bitten, Jonny zu identifizieren, so wie in diesen Fernsehkrimis. Sie wird aufstehen und Jonnys Taschenlampe in ihre Handtasche stecken und mit ihm gehen. Sie wird nicht weinen, sie wird nicht weinen können, egal was die Polizei ihr auch zeigen wird, sie ist sicher, dass sie nie mehr weinen können wird.
So oft hat Martina Stadler sich all das ausgemalt, dass sie von der Panik, die sie ergreift, als sie nun tatsächlich in das ernste Gesicht Manfred Korzilius’ blickt, vollkommen überrascht ist. Er legt ihr die Hand auf den Arm, wie um sie zu stützen, eine beinahe intime Geste,
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