Unter dem Eis
und links oben im Display des Mobiltelefons ein winziger Balken, der Empfang verheißt.
Der Akku ist fast leer, ein Balken muss genügen. Wie wunderbar verheißungsvoll das Summen eines Freizeichens ist. Doch statt Margery Cunninghams Stimme meldet sich ein Rauschen. Judith probiert es erneut, mit demselben Effekt. Sie hat keine Wahl, spricht ihre Nachricht ins Leere, bittet um Hilfe, dringend, versucht zu beschreiben, wo sie ist. Verschickt die gleiche Nachricht noch einmal als SMS.
Zeit vergeht, kostbare Zeit. Das Handy bleibt stumm, der Empfangsbalken zittert, mit ihm erlischt die Hoffnung. Judith stolpert zurück zur Hütte und entfacht ein Feuer, um ihre nassen Sachen schneller zu trocknen. Sie isst Pumpernickel aus Davids Vorratssack, brüht Pulverkaffee auf, dreht sich eine Zigarette. Bald wird auch das nicht mehr möglich sein, ihr Tabakvorrat geht zu Ende, sie versucht, die Panik zu unterdrücken, die sie bei diesem Gedanken überfällt. Sie legt nasses Holz auf, entsichert das Gewehr und schießt in die Luft, so wie sie es auch am Vortag immer wieder getan hat, weil selbst die sinnloseste Handlung erträglicher ist als untätiges Warten. Das Echo verklingt, lässt sie allein. Vielleicht hört irgendjemand irgendwann die Schüsse oder sieht den Qualm. Vielleicht hat Margery ihre Nachricht erhalten und ist schon unterwegs. Die Wahrscheinlichkeit ist denkbar gering.
»The person you’ve called ist momentarily not available«, näselt eine weibliche Kunststimme. Manni drückt die Verbindung weg. Ganz offensichtlich hat Judith Krieger etwas Besseres zu tun, als seine Anrufe entgegenzunehmen. Er überlegt, ob er ihr eine Nachricht auf dem Festnetztelefon hinterlassen soll, entscheidet sich aber dagegen. Wenn sie was von ihm will, wird sie sich melden, das weiß er aus Erfahrung. Und morgen werden sie sich sowieso wiedersehen.
Er erreicht den Stadtteil Rath und parkt vor der Einfahrt zu Petermanns Baufirma. Das Wohnhaus am Rand des Geländes ist ein protziger Klotz mit Erkerturm. Offenbar versteht der Indianerboss seinen Privatbesitz als eine Art Ausstellungsgelände. Zufahrt, Mauer, Eingangsstufen, Fassade und ein Fußweg, der am Haus vorbei in einen weitläufigen Garten führt, sind mit allen nur erdenklichen Materialien aus der Baufirma gepflastert, was der Gesamtästhetik nicht unbedingt dienlich ist.
»Es ist Sonntag, ich wollte gerade ins Camp«, beschwert sich Hagen Petermann, winkt Manni dann aber mit einer gönnerhaften Handbewegung in sein Heim. Manni lässt sich in ein schwarzes Ledersofa sinken, während Petermanns Gattin Mineralwasser auf den Glascouchtisch stellt, um sich dann in den Garten zurückzuziehen, wo die Mittagssonne einen hellblauen Pool in Szene setzt, in den eine fette, madenweiße Marmorputte Wasserrinnsale speit.
»Wir haben Jonathan Röbel gefunden. Er ist tot«, sagt Manni und drängt den Gedanken an Miss Cateye beiseite, der ihn beim Anblick des Schwimmbassins völlig unpassend überfällt.
»Mein Gott«, sagt Petermann. »Tot?«
»Angler haben ihn in einem Weiher gefunden, nicht sehr weit vom Lager der Kölschen Sioux entfernt.«
»Ertrunken?«
»Genaueres wissen wir nach der Obduktion. Wo waren Sie in den letzten 24 Stunden, Herr Petermann?«
»Sie verdächtigen mich?«
»Ich tue meine Arbeit, ich versuche, mir ein Bild zu machen.«
»Wir hatten gestern Abend unser Sommerfest im Camp. Ich war bis etwa ein Uhr nachts dort, mit Monika, meiner Frau. Danach waren wir hier.«
»Und Ihr Sohn?«
»Viktor auch.«
»Die ganze Zeit?«
Petermann steht auf und sieht auf Manni herunter. Manni unterdrückt den Impuls, ebenfalls aufzustehen. Stattdessenlehnt er sich scheinbar entspannt zurück, obwohl er alles andere ist als das. Noch einmal alle Möchtegernindianer befragen, Alibis überprüfen, warten, bis die Spurensicherer ein weiteres Stück Gelände durchsiebt haben, warten, dass sich endlich eine heiße Spur ergibt. Und dann auch noch Jonnys Obduktion. Manni sieht Hagen Petermann in die Augen.
»Warum haben Sie verschwiegen, dass Viktor und Jonny Klassenkameraden waren?«
»Wie ich bereits sagte: Die beiden sind nicht befreundet. Ich dachte, es sei nicht wichtig.«
»Ich muss mit Viktor sprechen.«
Erst sieht es aus, als wolle Petermann widersprechen, dann nickt er knapp und verlässt das Wohnzimmer. Manni sieht aus dem Fenster zum Pool, wo nun Petermanns Frau Bahnen schwimmt, den Kopf weit aus dem Wasser gereckt, vermutlich um Frisur und Sonnenbrille vor
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