Unter dem Eis
halbverdaute Reste von etwas, was eventuell Hackfleisch und Tomatensoße gewesen sein könnte«, sagt Karl-Heinz Müller. »Spaghetti Bolognese, vielleicht auch ein Hamburger, ich geb eine Probe ins Labor.«
Gift? Drogen? Abwarten ist die Devise. Manni steht auf, starrt in die blutige Bauchhöhle. Merkt, wie sein leerer Magen bei diesem Anblick rebelliert.
»Bin gleich wieder da«, sagt er. Die drei grün bekittelten Männer beachten ihn nicht, sind jetzt vollkommen in ihre Arbeit vertieft, setzen die Säge auf Jonnys Stirn. In der Toiletteim Parterre schöpft Manni sich kaltes Wasser ins Gesicht, es weicht die Pflaster auf seinen Händen auf, augenblicklich beginnen seine Knöchel, schmerzhaft zu pochen. Sein Gesicht wirkt grünlich im Neonlicht. Manni geht nach draußen, starrt auf den Waschbetonkübel mit dem Bambus, den Japan-Garten, den Karl-Heinz Müller zum Bouletrainingsplatz umfunktioniert. Er muss noch Berichte verfassen, er muss Martina Stadler auf morgen vertrösten, er muss das, was er bislang an Informationen hat, auswerten, eine Prioritätenliste erstellen, sich ein Standing verschaffen in diesen Ermittlungen, damit ihn Millstätt und Judith Krieger morgen früh nicht an die Wand drücken. Die alte Frau, die Jonnys Dackel gefunden hat, fällt ihm ein. Er hätte sie längst noch einmal vernehmen müssen. Er muss sich um seine Mutter kümmern, eine Beerdigung organisieren. Zu viel, einfach zu viel.
»Zweizeitige Milzruptur!« Ohne dass Manni es bemerkt hat, ist Karl-Heinz Müller neben ihn getreten.
»Zweiseitige Milz – was?«
»Zweizeitig, bitte schön. Eine Ruptur der Milz, also ein Riss. Zweizeitig – das heißt, die erste Verletzung erfolgte wesentlich früher als die massive Blutung, die wir in der Bauchhöhle gefunden haben.«
»Einen Riss der Milz, wie bekommt man so was?«
»Ziemlich einfach, durch einen Schlag oder einen Tritt. Muss nicht mal besonders gewaltsam sein. Eine Milzruptur ist eine typische Verletzung bei Schlägereien.«
»Und das ist tödlich?«
»Die Zweizeitigkeit ist das Problem. Die Milz ist gerissen, die Blutung ergießt sich aber zunächst ins Innere des Organs. Der Verletzte merkt das unter Umständen nicht einmal. So wird die verletzte Milz gewissermaßen zur Zeitbombe. Irgendwann reißt sie ein zweites Mal, das Blut fließt in die Bauchhöhle, viel Blut, und dann ist es meist zu spät.«
»Der Tag der Verletzung und der Todeszeitpunkt sind also nicht identisch«, folgert Manni nachdenklich.
Karl-Heinz Müller nickt. »Verletzung und Exitus können mehrere Stunden oder sogar mehrere Tage auseinander liegen.«
»Das heißt, Jonny könnte am Samstag im Wald geschlagen worden, aber erst am Donnerstag oder Freitag gestorben sein?«
»Yes!«
»Wo war er bis zu seinem Tod? Was hat er getan? Warum hat er niemanden um Hilfe gebeten?«
»Er hat was gegessen, etwa acht Stunden vor seinem Tod. Einige Prellungen sehen aus, als wären sie ihm erst später zugefügt worden.«
»Er wurde mehrmals geschlagen?«
Der Rechtsmediziner entzündet mit der Glut seiner aufgerauchten Zigarette eine weitere Davidoff. »Ja. Und nach seinem Tod hat jemand seinen Leichnam kühl gelagert, bis man ihn in diesen Angelteich warf.«
»Jemand hat Jonny Röbel gefangen gehalten und misshandelt, jemand mit Zugang zu einem Kühlraum«, sagt Manni.
»Muss kein richtiger Kühlraum sein. Nur ein Ort, wo es kälter ist als draußen.«
»Zum Beispiel?«
»Ich mach im Labor Druck, vielleicht finden die noch was.« Müller tritt seine Zigarette aus und verschwindet wieder in seinem Reich. Manni starrt ihm nach. Man hat Jonny Röbels Dackel mit Drogen getötet. Man hat Jonny gefangen gehalten und gequält. Wo? Und, wichtiger noch, wer? Er hat, verdammt noch mal, keinen blassen Schimmer.
Montag, 1. August
Montagmorgen. Müde Gesichter. Der Himmel vor den Fenstern des KK-11-Besprechungsraums ist nicht mehr blau, sondern grau, doch das Gewitter, auf das alle sehnsüchtig warten, ist auch in dieser Nacht nicht gekommen, die Luft schmeckt nach Hitze und Staub. Unsere Rückkehrer Manni Korzilius und Judith Krieger werden den Kern der Mordkommission »Jonny Röbel« bilden, hat Kommissariatsleiter Axel Millstätt zu Beginn des Meetings verkündet, obwohl von Mannis alter und neuer Teampartnerin bisher nichts zu sehen ist. Ein paar der Kollegen haben Manni zugenickt und ihm Daumen hoch signalisiert, seitdem geht es wieder um den Touristenmörder, den Stand der Ermittlungen, die absolut notwendige
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