Unter dem Eis
Gesicht in den Händen vergraben. »Ich dachte doch nicht, ich konnte doch nicht wissen …«
Petermann also. Manni steht auf. Er muss mit diesem Braun sprechen. Er braucht einen Durchsuchungsbeschluss für Petermanns Firma.
»Noch etwas«, sagt Stadler heiser. »Der Teich, in dem sieJonny gefunden haben. Ich angele dort, freitags nachmittags. Das kann doch kein Zufall sein, jemand will mir was anhängen, aber ich weiß nicht, wer. Außer Volker und neuerdings Martina weiß niemand davon. Bitte glauben Sie mir, ich habe Jonny nichts getan.«
Manni hält Frank Stadler das Messer aus Tims Zimmer hin.
»Gehörte das Jonny?«
»Ja, woher haben Sie das?«
»Ich finde selbst hinaus.« Manni ertastet sich den Weg durch das dunkle, totenstille Wohnzimmer Richtung Eingangstür. Von der Terrasse erklingt das trockene, ungeübte Schluchzen eines Mannes, der es nicht gewohnt ist, seinen Gefühlen auf diese Weise Ausdruck zu verleihen. Unwillkürlich beschleunigt Manni seine Schritte und ballt die Fäuste, was seine geschundenen Knöchel mit Stichen quittieren. Petermann, denkt er wieder. Aber was ist dann mit Ralf Neisser und was mit Petermanns Sohn? Und vor allem: Was ist mit Tim?
Volker Braun lebt in Immekeppel im Bergischen Land. Nur eine Viertelstunde auf der A4.
»Nein, nein, nein«, flüstert er, als Manni ihn mit Frank Stadlers Aussage konfrontiert. »Frank hat das missverstanden. Ich bin nicht bestechlich, ich habe Petermann nicht begünstigt, er hat mich nicht erpresst, ich arbeite korrekt. Bitte, Sie müssen mir glauben, ich habe doch Kinder.«
Und dabei bleibt er, egal wie Manni es versucht. Ein Mann, der um seine Existenz kämpft und deshalb kein brauchbarer Zeuge ist. Frustriert fährt Manni zurück nach Köln, versucht es noch einmal bei den Petermanns, aber das Haus liegt immer noch im Dunkeln und niemand lässt ihn herein.
Im KK-11 ist hingegen trotz fortgeschrittener Stunde der Teufel los. Die »SOKO Tourist« lärmt im Besprechungszimmer, sie haben ihren Täter gefasst, bereiten Verhöre und Pressekonferenz vor, feiern und reden alle durcheinander. Judith Kriegers Praktikantenkabuff ist leer, doch ihr Computer ist an, der Drucker spuckt Seiten aus und neben dem vollen Aschenbecher steht eine lauwarme Tasse Kaffee. Manni lässtsich auf ihren Bürostuhl fallen und starrt auf den Monitor. David Becker, geboren am 11 . Oktober 1959 in Hannover. Biologe. Widerstand gegen die Staatsgewalt, Verstoß gegen das Versammlungsverbot, Körperverletzung, Steuerhinterziehung – das Vorstrafenregister des Mannes ist beachtlich. 1995 hat Becker eine Kanadierin geheiratet und ist mit ihr nach Toronto gezogen. Drei Jahre später wurde die Ehe geschieden, was verdammt nach Scheinehe stinkt.
Die Krieger steht plötzlich neben Manni, sieht, was er da gerade liest, wird wirklich und wahrhaftig rot.
»Ist privat.« Sie langt nach der Maus, klickt die Seite weg und setzt sich Manni gegenüber, mit einer Bewegung, die wie ein Taumeln wirkt. »Und?«
Während Manni seine neuesten Ergebnisse zusammenfasst, glaubt er beinahe, dass Stadler die Wahrheit gesagt hat und Volker Braun lügt. »Jonny hat seinen Stiefvater auf dem Rastplatz belauscht und erfahren, dass Hagen Petermann dessen Freund erpresst. Dann hat er Petermann im Wald getroffen, zufällig wahrscheinlich, und ihn zur Rede gestellt.«
»Und dann hat Petermann zugeschlagen? Und hat den Dackel verstümmelt und getötet? Und warum ist jetzt auch Tim verschwunden?« Die Krieger guckt skeptisch.
»Weil Jonny sich ihm anvertraut hat.«
»Aber dann müsste Tim doch mit im Wald gewesen sein. Und außerdem: Warum hat Tim niemandem etwas davon gesagt?«
Genau diese Fragen stellen auch Millstätt und der Staatsanwalt, und weil Manni sie nicht beantworten kann und außer Stadlers Aussage nichts in der Hand hat, verweigern sie den Durchsuchungsbeschluss für Petermanns Haus.
»Fahrt heim, genug für heute«, sagt Millstätt. »Keine Widerrede. Wir sehen uns morgen.«
Im Autoradio johlt Herbert Grönemeyer vom Leben und Menschsein. Judith Kriegers Lagerfeuermüffeln ist schwächer geworden, übertüncht von Schweiß, Stress und Nikotin. Sie sitzt neben Manni, eine im Licht der Armaturen bläulich schimmernde Silhouette mit geschlossenen Augen. Manni denkt an seinen Vater und an das Schluchzen von Frank Stadler. Er denkt, dass Grönemeyer mit seiner Zuversicht Unrecht hat, dass es Versäumnisse gibt, falsche Entscheidungen, die ein Leben zerstören. Er denkt an Tim, der
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