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Unter dem Eis

Unter dem Eis

Titel: Unter dem Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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Jonny wäre dabei, alle haben das gedacht, und beim Frühstück dachte ich, dass Jonny eben gern früh aufsteht und mit Dr. D. eine Morgenrunde dreht.«
    Vorsichtig drücken seine Daumen in die Verspannungen zwischen ihren Schulterblättern. Er kennt sie so gut, ihr Mann, ihr Freund, ihre Liebe. Selbst in den schlimmsten Anfangsphasen mit Leander und Marlene, wenn sie die Nächte durchschrien, dass die Erschöpfung Martina schließlich in ein namen- und freudloses Nichts verwandelte, das keinen Wunsch mehr hatte, außer dem Verlangen nach Schlaf, haben Franks Zärtlichkeiten ihr Mut und Kraft gegeben.
    »Komm ins Bett, du musst dich ausruhen«, wiederholt er leise.
    Aber jetzt ist an Schlaf nicht zu denken, und Franks Berührung vermag sie nicht von diesem einen Gedanken abzulenken, der Gift ist, tabu, und trotzdem immer mächtiger wird, seitdem dieser Manfred Korzilius seine Fragen gestellt hat: Ich hätte es gemerkt, wenn Jonny verschwindet.
    Martina windet sich aus Franks Händen. Sie muss allein sein, auch wenn alles in ihr nach Trost schreit, sie darf sich nicht, gehen lassen, darf nicht den Verstand verlieren. Sie weiß nicht, wohin, stolpert im Wohnzimmer über irgendein Kinderspielzeug und findet sich schließlich im Garten wieder. Eine Frachtmaschine dröhnt vom Flughafen her über den Garten, viel zu tief, zerschneidet die Nacht, und einen Moment lang verspürt Martina den absurden Wunsch, das Flugzeug möge auf sie herabstürzen, damit sie die Fragen des Kommissars in ihrem Kopf nicht mehr hören muss.
    Ein paar Glühwürmchen irrlichtern durch den Garten, freundliche Käfer mit kleinen Laternen in den Händen, so sind sie in Marlenes Lieblingsbilderbuch dargestellt. Jonny hat Lene dieses Buch manchmal vorgelesen, den aufmerksamen Dr. D. zu seinen Füßen, in den Händen seine geliebte Taschenlampe, dieses letzte Andenken an seinen Vater, und wenn sie das Licht löschten, hat er für Lene mit der Taschenlampe Glühwürmchen gespielt. An, aus, an, aus. Jonny hat Lene zugeflüstert, dass die Glühwürmchen sich mit einem geheimen Morsealphabet verständigen, und er würde ihnen jetzt sagen, sie sollen über Nacht gut auf Lene aufpassen und sie behüten.
    Wo bist du, Jonny? Wie willst du jetzt deine Lichtzeichen setzen? Und wer behütet dich? Ich kann nicht glauben, dass du weg bist, ich will nicht einmal daran denken, dass du vielleicht tot bist. Martina schaltet Jonnys Taschenlampe ein, dann wieder aus. Ist der Lichtstrahl schwächer geworden? Kann Jonny auf irgendeine Weise wissen, dass sie hier auf dem Rasen kniet und für ihn Signale morst?
    »Hier bist du.« Frank geht neben ihr in die Hocke, will sie umarmen. Sie schüttelt seine Annäherung ab, verwendet alleKraft darauf, sich weiter auf die Taschenlampe zu konzentrieren, ihre Verbindung zu Jonny. An, aus, an, aus. Wie schnell ein Licht verlöschen kann.
    »Tina …«
    »Geh weg«, sagt sie. »Lass mich allein.«

Montag, 25. Juli
    Wenn Jonny nicht bald auftaucht, werden sie zu spät kommen. Für Jonny ist das kein Problem, aber für ihn, Tim, ist es eine Katastrophe. Tim springt von der Mauer und starrt die Straße hinunter. Viertel vor acht, so spät war Jonny noch nie. Er gibt seinem Mountainbike einen Tritt, schwingt sich wieder auf die Mauer. In der ersten Stunde hat er Mathe bei der Dolling. Die Dolling mag ihn nicht, immer gibt sie ihm die Schuld an allem, sie hat ihn auf dem Kieker, glaubt ihm nicht, wenn er beteuert, dass er nichts für die Stinkbomben, Papierkügelchen, Schmierereien und Aufkleber kann, die immer auf seinem Platz landen. Olle Hexe, denkt er, Dolling, du blöde Kuh. Neulich haben sie sein Pausenbrot geklaut und auf ihr Pult geklebt, die Leberwurst so richtig fett verschmiert. Die Dolling hat nichts gesagt, so sauer war sie, ganz weiß um die Nase. Hat eine Weile auf die Sauerei gestarrt, dann ist sie zum Papierkorb gestiefelt und hat mit spitzen Fingern eine Butterbrotdose rausgefischt. Seine Butterbrotdose – mit Leberwurstschmiere am Rand. Diese Tupperdosen sind zu teuer, als dass du sie dauernd verlieren kannst, hatte seine Mutter gesagt und seinen Namen auf den Deckel geschrieben. TIMOTHEUS RINKER – da gab es kein Leugnen. Niemand hat so einen bescheuerten Namen wie er. Es ist einfach nicht fair.
    Jonny hat solche Probleme nicht, obwohl er in seiner Klasse der Jüngste ist, und wenn Tim die Pausen mit Jonny verbringt, lassen sie ihn in Ruhe. Wieder springt er von derMauer und starrt in die Richtung, aus der Jonny

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